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Junge Frau im Filmstudio. Thema Migräne Junge Frau im Filmstudio. Thema Migräne

Folge 28 – Psychosomatische Migräne

Dauerkopfschmerzen am Ende der Kräfte

Stress begünstigt Migräne – an sich erst mal keine bahnbrechende Neuigkeit. Doch bei starker Überlastung können die Kopfschmerzattacken sogar in so kurzen Abständen wiederkehren, dass sie nahtlos ineinander übergehen und die Erholungsphasen gänzlich ausbleiben. Für Betroffene sind diese anhaltenden Phasen mentaler Erschöpfung und physischer Schmerzen nur schwer auszuhalten. Doch bei genauerem Hinsehen wird meist schnell klar, dass die fatale Schmerzeskalation das Resultat wochen- oder sogar monatelanger Überarbeitung ist. Im April hat Diana noch davon berichtet, dass ihr die steigende Anzahl ihrer Schmerztage langsam Sorgen bereitet. Da wusste sie allerdings noch nicht, dass das erst der Anfang war.

Schmerzmonat April

Erinnert ihr euch noch an meinem letzten Beitrag? Ich saß in einem überfüllten ICE – irgendwo zwischen Bayern und NRW – und ich war verzweifelt, weil ich zum ersten Mal seit Beginn meiner Botox-Therapie fünf Tage am Stück unter Kopfschmerzen litt. „Bleibt das jetzt so?“, habe ich mich in dem Text gefragt. Diese Frage kann ich meinem Vergangenheits-Ich nun kurz und schmerzvoll beantworten: Ja, das war tatsächlich erst der Anfang. Damals habe ich noch spekuliert, ob der Infektionsmarathon, der hinter mir lag, der Auslöser für die erhöhte Migräne-Frequenz war. Inzwischen sehe ich jedoch das große Ganze und ahne, dass mein vorangegangener Magen-Darm-Infekt und die Blasenentzündung nur Mosaikteile eines riesigen Puzzles waren. Eigentlich hatte ich vor, mich nach der Bahn-Odyssee zuhause vom Stress der letzten Wochen zu erholen – doch das Schlimmste stand mir zu dem Zeitpunkt noch bevor. Ich steuerte nämlich auf einen beeindruckenden Schmerz-Showdown zu, der mir die letzten Kräfte rauben sollte. Insgesamt habe ich im April 23 Kreuze in meinem Schmerztagebuch verzeichnet. Sie markieren 23 Tage, an denen das Pulsieren in meinem Kopf alles andere überschattete. 23 Tage, an denen ich Tabletten genommen – oder das Elend ohne Medikamente ertragen habe. Wahrscheinlich habe ich sogar ein paar Kreuze vergessen. Mein Albtraumszenario ist also wahr geworden: Die Migräne ist nicht bloß in der gefürchteten Intensität zurückgekehrt, sondern schlimmer. Wie ihr euch denken könnt, ist es so gut wie unmöglich, die entsprechenden Auslöser eindeutig zu identifizieren, um sie künftig vermeiden zu können. Doch es gibt da ein paar Trigger, die wie schwangere Elefanten im Raum stehen und sich nicht ignorieren lassen. Die Migräne war nämlich nicht das einzige Stresssymptom, das mir in den vergangenen Wochen zu schaffen machte.

Filmklappe; Dreharbeiten. Thema Migräne

Burnout trifft Migräne

Beruflich war bei mir in den letzten Monaten einiges los. Erst war ich in fünf verschiedenen Bundesländern mit meinem Podcast »Krawalle & Liebe« auf Tour. Anschließend häuften sich die Textabgaben, weil in der Zeit einiges liegengeblieben war. Und dann standen auch noch Moderationen auf dem Programm, die nicht nur mit einer intensiven Vorbereitung, sondern auch mit ein bisschen Lampenfieber einhergingen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Alltagsroutinen das A und O bei der Migräne-Prophylaxe darstellen, ist es daher naheliegend, dass sich die arbeitsintensive Zeit, die zudem mit zahlreichen Reisen verbunden war, eher ungünstig auf meine Schmerzanfälligkeit ausgewirkt hat. Dennoch ging das Ausmaß diesmal weit über übliche Stressreaktionen hinaus. Als erstes bemerkte ich ein Augenflimmern. Einen verschwommenen Fleck in meinem rechten Sichtfeld, der mir zunehmend Sorgen bereitete. Anfangs trat er bloß hin und wieder auf und verschwand dann wieder für ein paar Stunden. Doch je länger mein Belastungszustand andauerte, desto öfter traten die Sichtfeldstörungen auf, bis sie schließlich fast gar nicht mehr verschwanden. Nach einigen Tagen kam auch noch ein zuckendes Augenlid hinzu und eines Morgens lag ich mit Herzrasen im Bett, unfähig aufzustehen. Ich war ein Wrack. Ein Nervenbündel. Parallel häuften sich die Migräneattacken, bis es schließlich gar keine Erholungspausen mehr gab – und das Schlimmste: Ich musste weiterarbeiten, funktionieren und performen. Als Selbstständige schwingt natürlich immer die Gefahr mit, dass die Migräne mit meinem Job kollidiert. Denn anders als Festangestellte, kann ich mich nicht einfach krankmelden. Bei Textabgaben ist das in der Regel kein Problem, weil ich immer zeitliche Puffer einplane, um meine Deadlines auch trotz kopfschmerzbedingter Ausfälle einhalten zu können. Doch bei Moderation, Lesungen und Bühnengesprächen sieht das anders aus. Die Termine für solche Veranstaltungen und Produktionen stehen oft bereits Monate im Voraus fest und lassen sich nicht verschieben, weil bereits alles durchgeplant ist und außer mir noch viele weitere Menschen involviert sind. Bisher hat es dahingehend auch noch nie Probleme gegeben, weil die Migräne bei mir normalerweise nicht in den Stressphasen selbst, sondern erst im Anschluss auftritt, wenn die Anspannung von mir abfällt. Aber diesmal war es anders. Ich musste mehrere Tage am Stück moderieren und die Migräne hat mich nonstop begleitet.

In stressigen Zeiten schüttet der Körper Cortisol aus, um die Entzündungsreaktionen im Körper zu dämpfen. Ist die Herausforderung absolviert, sinkt der Cortisolspiegel wieder, was Migräne auslösen kann.

Gefährliche Grenzüberschreitungen

Mein Zustand verschlechterte sich rapide, als der erste von zwei aufeinanderfolgenden Jobs erledigt war. Hinter mir lag eine intensive Vorbereitungsphase, die von Kopfschmerzen und Schlafstörungen geprägt war. Schließlich betrat ich die Bühne unter Schmerzmitteln – mit meinem zuckenden Augenlid. Doch es lief überraschend gut, das Adrenalin regelte den Rest und ich war erleichtert über das positive Feedback, das ich im Anschluss von allen Seiten erhielt. Rückblickend glaube ich, dass mir diese Erleichterung zum Verhängnis geworden ist, da sie meinem Körper signalisierte, dass er es geschafft hatte und bereit für die Entspannungsphase war. Der Grund für diese „Entspannungskopfschmerzen“ liegt auf der Hand: In stressigen Zeiten schüttet der Körper Cortisol aus, um die Entzündungsreaktionen im Körper zu dämpfen und uns leistungsfähiger zu machen. Ist die Herausforderung absolviert, fällt die Anspannung von uns ab und der Cortisolspiegel wird wieder gesenkt, was bei vorbelasteten Personen (wie mir) Migräne auslösen kann. In der Regel spielt mir diese Erklärung ja sogar in die Karten, da ich mich darauf verlassen kann, zu funktionieren, wenn es darauf ankommt. Das Problem war jedoch, dass mir diesmal noch eine weitere mehrtägige Produktion bevorstand und ich keine Zeit für eine Regenerationspause samt Migräne auf Knopfdruck hatte. Also tat ich, was in solchen Situationen das absolute No-Go ist: Ich versuchte, mich mit Triptanen und Schmerzmitteln über Wasser zu halten und arbeitete weiter, ohne meinem Körper die nötige Verschnaufpause zu gönnen. Ich wusste es besser, aber ich hatte keine Wahl. So kam es, dass ich erstmals über einen längeren Zeitraum alle körperlichen Alarmsignale ignorierte und jeden Tag aufs Neue meine Belastungsgrenzen überschritt. Wir drehten drei Interviews täglich, das heißt, ich war von morgens bis abends am Set – in ständiger Interaktion mit meinem Team und meinen Gesprächspartner*innen. Ich pendelte zwischen Smalltalk, Maske und Kamera-Setup und musste liefern, wenn es hieß: „Und Action!“

Ich hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen und das Fortschreiten meiner eigenen Migräne im Gesicht meiner Gesprächspartnerin erkennen zu können.

Migräne-Showdown vor der Kamera

Vorab informierte ich mein Team über meinen aktuellen Zustand, um den Druck etwas zu verringern. Immerhin kamen so keine Fragen auf, wenn ich schweigsamer war als üblich oder ich mich in den Pausen zurückzog. Dank meines verständnisvollen Umfeldes und der nötigen Akutmedikation absolvierte ich die ersten Interviews ohne weitere Zwischenfälle, doch am letzten Drehtag bekam ich die Quittung für meine wochenlange Verausgabung – und zwar vor laufender Kamera. In dem Interview ging es ironischerweise um das Thema Migräne. Meine Gesprächspartnerin berichtete gerade von den Herausforderungen im Alltag, als sich in meinem Kopf ein Schalter umlegte. Das Licht der Scheinwerfer war plötzlich unerträglich und es viel mir schwer, sie weiter anzuschauen und die Augen offenzuhalten. Außerdem ließ meine Konzentration rapide nach. Ich konnte ihr nicht mehr folgen, verpasste meinen Einsatz bei der nächsten Frage und musste mich zwingen, interessiert auszusehen, weil ich innerlich bereits Panik bekam. Nicht nur, dass ich mich mitten in einer Interview-Aufzeichnung befand – mir stand auch noch ein weiteres bevor. Als der Schmerz schließlich vom Nacken hinter meine rechte Schläfe wanderte, wusste ich sofort, dass das kein Anfall war, den ich mit einer Tablette in Schach halten und vor den anderen überspielen konnte. Ich war geliefert. Und dann bemerkte ich etwas im Gesicht meiner Gesprächspartnerin. Auch ihre Mimik hatte sich verändert. Sie blinzelte häufiger und kniff angestrengt ihre Augen zusammen. Ich hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen und das Fortschreiten meiner Migräne in ihrem Gesicht erkennen zu können. „Entschuldigung, ich habe den Faden verloren – kann ich noch mal anfangen?“ Ihre Frage riss mich aus den Gedanken und ich fragte sie geradeheraus: „Sag mal, bekommst du gerade Migräne?“ Sie nickte und ihr huschte ein gequältes Lächeln übers Gesicht. „Du auch, stimmt’s?“ Zehn Minuten später war es geschafft und wir zogen uns Backstage in die Dunkelheit zurück. Die Nachwirkungen dieser Tage begleiten mich bis heute.

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de