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Folge 7 – Soziale Medien

Zusammen ist man weniger allein

Migräne macht einsam. Nicht nur, weil Betroffene viel Zeit allein in abgedunkelten Räumen verbringen müssen – sondern auch, weil sich viele von ihnen nicht verstanden fühlen. Der Wunsch nach dem Austausch mit Gleichgesinnten ist so alt wie die Menschheit. Und das nicht ohne Grund: Sich in den Erfahrungen anderer wiederzuerkennen, trägt entscheidend zur Reflexion der eigenen Situation und letztendlich zum Wohlbefinden bei. Denn wo es an Leidensgenoss*innen fehlt, sind Selbstzweifel oft nicht weit: „Haben die anderen Recht, muss ich mich einfach bloß mehr zusammenreißen?“ Früher suchten die Menschen Selbsthilfegruppen auf, um Infos auszutauschen und sich gegenseitig Mut zu machen. Heute finden sie ihre Verbündeten im Internet.

Migräne als Teil des Lebens

Ich werde oft gefragt, warum ich meiner Migräne öffentlich so viel Raum gebe, indem ich meine Kopfschmerzen mitsamt aller Nebenwirkungen regelmäßig in dieser Kolumne und auf meinen Social-Media-Kanälen thematisiere. Die Antwort ist simpel: Sie ist ein Teil meines Lebens. Natürlich könnte ich so tun, als sei alles halb so wild und mein Leben perfekt. Aber was hätte ich davon? Man würde bloß von mir erwarten, dass ich immer funktioniere, was ich de facto nicht tue. Wenn ich eins aus über 20 Jahren Migränealltag gelernt habe, dann ist es die Tatsache, als Betroffene oftmals nicht ernstgenommen zu werden. „Nimm doch ne Tablette, dann geht’s dir gleich besser und wir können doch noch zum Konzert fahren!“ Wenn es mal so einfach wäre. Dass Kopfschmerzen in unserer Gesellschaft den faden Beigeschmack einer Ausrede haben und dass der Begriff „Migräne“ häufig als eine Art Übertreibung gedeutet wird, ist kein Zufall. Falsche Werbeversprechen, klischeebehaftete Filmdialoge und gefährliches Halbwissen werden bereits seit vielen Jahrzehnten in die Welt hinausposaunt und machen Betroffenen das Leben schwer, weil sie haltlose Vorurteile zementieren. Um dem etwas entgegenzusetzen und anderen eine Vorstellung davon zu geben, was es tatsächlich bedeutet, mit Migräne leben zu müssen, möchte ich in den Sozialen Medien und durch diese Kolumne zu mehr Sichtbarkeit beitragen. Einerseits hoffe ich, auf diese Weise helfen zu können, Klischees abzubauen. Andererseits möchte ich anderen Migräniker*innen zeigen, dass sie nicht allein mit den Herausforderungen und Einschränkungen sind, die die Erkrankung mit sich bringt.

Andere fotografieren ihr Mittagessen, um Einblicke in ihren Alltag zu gewähren – ich dokumentiere stattdessen, wie oft die neurologische Erkrankung meine Pläne durchkreuzt.

Kein Einzelschicksal

Lange Zeit endeten meine Anfälle damit, dass ich ausgelaugt auf der Couch lag und alles über Migräne und ihre Ursachen las, was ich im Netz finden konnte. Stets angetrieben von der verschwindend geringen Hoffnung, bei meiner Recherche auf den einen vermeidbaren Trigger zu stoßen, der mir künftig alles ersparen könnte – oder zumindest auf ein Wundermittel. Doch alles, was ich fand, waren wissenschaftliche Artikel über eine bisher unzureichend erforschte Erkrankung und die verzweifelten Foren-Einträge derer, die mit ihr leben müssen. Alles in allem ein recht unbefriedigendes Unterfangen. Doch das änderte sich, als ich vor einigen Jahren mal wieder zum Smartphone griff, als die Triptane zu wirken begannen. Anstatt zum x-ten Mal Google zu befragen, öffnete ich an jenem Tag Instagram und gab den Hashtag #migräne ein. Im nächsten Moment tat sich vor meinen Augen ein ganzes Paralleluniversum auf: Tausende Postings von Expert*innen und Betroffenen, Info-Slides, Videotagebücher, Erfahrungsberichte. Ungläubig scrollte ich durch die Ergebnisse. Ich war baff. In den nächsten Tagen folgte ich einer ganzen Reihe von Profilen mit Migräne-Schwerpunkt und je mehr Beiträge ich las, desto weniger allein fühlte ich mich mit der Bürde, die mich seit meiner Jugend begleitet. Zum ersten Mal sprachen mir andere Betroffene aus der Seele und eine unsichtbare Last fiel von mir ab. Natürlich war mir bereits vorher bekannt, dass es sich bei Migräne um eine Volkskrankheit handelt und dass mein Zustand kein Einzelschicksal ist. Doch all die Postings von Menschen zu lesen, die meine Erfahrungen und Sorgen teilten, beruhigte mich auf eine vollkommen neue Art. Endlich realisierte ich, dass ich nicht die Einzige bin, die weiß, wie es sich anfühlt, stundenlang bloß aus Schmerzen und Übelkeit zu bestehen und still ins Kissen zu heulen. Außerdem beruhigte es mich, dass auch andere Betroffene darunter leiden, das eigene Umfeld ständig durch kurzfristige Absagen enttäuschen zu müssen. Diese Aha-Momente haben mir nachhaltig geholfen, meine Erkrankung besser zu verstehen und sie letztlich auch mehr zu akzeptieren. Daher möchte ich euch gerne zwei Migräne-Aktivistinnen vorstellen, denen es zu folgen lohnt.

Ich gab den Hashtag #migräne ein und vor meinen Augen tat sich ein ganzes Paralleluniversum auf: Tausende Postings von Expert*innen und Betroffenen, Info-Slides, Videotagebücher, Erfahrungsberichte.

Migräne-Superheldin

Das Profil der Journalistin Bianca Leppert hat mir vor zwei Jahren durch eine schwere Zeit geholfen, in der ich durch eine medikamentöse Umstellung wochenlang mit Kopfschmerzen und schweren Nebenwirkungen ans Bett gefesselt war. In ihrem Feed trägt Bianca Migräne-Fakten auf hübsch gestalteten Text-Kacheln zusammen, die nicht nur den eigenen Horizont erweitern, sondern auch den nicht-betroffener Menschen. Ein Konzept, mit dem sie einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der gesellschaftlichen Wahrnehmung der neurologischen Erkrankung leistet. In den letzten Jahren hat sich ihr Instagram-Kanal für mich als praktischer Werkzeugkasten entpuppt, um Vorurteilen im Gespräch gezielt den Wind aus den Segeln zu nehmen und mein Umfeld dazu zu bringen, althergebrachte Migräne-Klischees zu hinterfragen. Die Mischung aus der lockeren Herangehensweise der Journalistin und den gut recherchierten Hard-Facts gefällt mir dabei besonders gut. Denn seien wir ehrlich: Ohne Humor könnten wir einpacken! Da ist es schon in Ordnung, die eigene Migräne auch mal „Kackbratze“ zu nennen, wenn sie mal wieder spontan beschließt, einem den Stecker zu ziehen. Zudem möchte ich euch Bianca Lepperts Buch „Ich hab‘ Migräne – Und was ist deine Superkraft?“ sowie den gleichnamigen Podcast ans Herz legen. Als betroffene Journalistin gewährt sie auf diesen Wegen authentische Einblicke in ihren Alltag mit der unberechenbaren Erkrankung und gibt darüber hinaus hilfreiche Tipps, inwiefern das richtige Mindset helfen kann, sich mit der Migräne zu arrangieren. Besonders hervorzuheben ist dabei der nicht-vorhandene erhobene Zeigefinger der Autorin. Sie betont zwar, dass ein Leben mit Migräne viel Disziplin erfordert, doch sie räumt auch ein, dass es vollkommen okay sei, ab und zu mal alle guten Vorsätze über Bord zu werfen und über die Stränge zu schlagen. Eine befreiende Erkenntnis, die mir seither einige toxische Gedankenspiralen und Selbstvorwürfe erspart hat. Als ich fertig war, habe ich das Buch übrigens direkt an meine Liebsten weitergegeben – auch sie haben sich und mich in einigen Situationen wiedererkannt und es hat ihnen geholfen, mein Leben mit Migräne besser zu verstehen.

Du bist kein Einzelfall und vor allem bist du nicht alleine.

Teamarbeit

Die zweite Migräne-Influencerin, die meinen Instagram-Feed bereichert, ist Svenja von @migraene.begleiten. Im Gegensatz zu Bianca ist sie nicht selbst von der Erkrankung betroffen, sondern ihr Partner. Das heißt, sie berichtet auf ihrem Kanal über die Herausforderungen, die eine chronische Migräne innerhalb der Beziehung mit sich bringt und sorgt dabei für einen spannenden Perspektivwechsel. Einerseits finde ich es wichtig, dass durch ihren Content auch Angehörige von Migräniker*innen eine Anlaufstelle im Netz haben, wo sie Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig Mut machen können. Andererseits helfen mir ihre Beiträge als Betroffene, mich besser in meinen Partner hineinversetzen zu können. Denn eins steht fest: Eine Dreiecksbeziehung zwischen zwei Menschen und einer Migräneerkrankung belastet nicht nur die Person, die die Schmerzen hat. Bahnt sich eine Attacke an, durchkreuzt das in der Regel die Pläne aller Beteiligten – ganz egal, ob gerade Hausarbeiten, ein Kinobesuch oder ein langersehnter Urlaub ansteht. Den Alltag einer mit Migräne lebenden Person zu begleiten, erfordert viel Verständnis und Rücksichtnahme. Und genau dafür schafft Svenja auf ihrem Kanal die nötige Awareness, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Im Gegenteil, über die kurzen Videos, in denen sie das Leben mit Migräne parodiert, lache ich mich regelmäßig schlapp, weil ich mich so sehr darin wiedererkenne. Und ihre Info-Postings rund um wissenschaftliche Fakten, Vorurteile und den richtigen Umgang mit der Erkrankung haben bereits für einige wichtige Erkenntnisse gesorgt.

Tipps zum folgen

  • Bianca Leppert:
    • Instagram: @migraene_superhelden
    • Facebook: @migraenesuperhelden
    • Podcast: Ich hab‘ Migräne – Und was ist deine Superkraft?
    • Buch: Ich hab‘ Migräne – Und was ist deine Superkraft? (Komplett Media GmbH, 2019)
  • Migräne begleiten - Svenja:
    • Instagram: @migraene.begleiten

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de