Folge 12 – Wie kündigt sich Migräne an?
Vorboten und erste Anzeichen
Migräne-Attacken treten von außen betrachtet meist von jetzt auf gleich auf. Gerade noch in ein gemeinsames Gespräch vertieft, reibt sich die betroffene Person plötzlich die Schläfen und sagt, dass sie sich kurz hinlegen muss. Eine Viertelstunde später ist sie nicht mehr ansprechbar und muss sich schlimmstenfalls vor Schmerzen übergeben. Ein Kontrollverlust, der vielen Menschen Angst einjagt. Was tun, wenn einen der nächste Anfall überrascht, während im Wohnzimmer Gäste warten – oder schlimmer noch, während einer langen Autofahrt ohne Beifahrer, der notfalls übernehmen kann? Die gute Nachricht ist: Vollkommen aus dem Nichts tritt eine Migräne nur selten auf. Man muss die Vorzeichen bloß lesen können.
„Irgendwie fühle ich mich heute migränig.“
So beschreibe ich es meist, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Es fühlt sich an wie eine Vorahnung, weil ich in diesen Momenten Schmerzen wahrnehme, die noch gar nicht da sind. Okay, ich gebe zu, dass das etwas crazy klingt. Sehr sogar. Deshalb habe ich auch lange Zeit meine Klappe gehalten, wenn es mal wieder so weit war, schließlich wollte ich nicht als eine esoterisch angehauchte Möchtegern-Wahrsagerin abgestempelt werden. Aber wann immer es passierte, ich behielt Recht und die Kopfschmerzen manifestierten sich in den nächsten Stunden genau dort, wo es bis dahin nur eine Ahnung von ihnen gegeben hatte. Einerseits war es natürlich praktisch in puncto Tagesplanung, auf diese Weise ein paar Stunden Vorsprung zu bekommen. Denn ich lernte schnell, dass auf mein Gefühl Verlass war und ich Verabredungen besser rechtzeitig cancelte, noch bevor die Schmerzen einsetzten. Andererseits machte mich das Phänomen komplett verrückt, weil ich es mir nicht erklären konnte. Anfangs glaubte ich, dass es sich dabei vielleicht um die sogenannte „Aura“ handeln könnte, von der im Zusammenhang mit Migräne oft die Rede ist. Doch da ich weder visuelle Symptome wie Lichtblitze, Zickzacklinien oder blinde Flecken wahrnehme noch unter Hörstörungen oder Sprachausfällen leide, konnte das schnell ausgeschlossen werden. Redete ich ausnahmsweise doch mal mit jemandem über meine Erfahrungen, fiel seitens meiner Gesprächspartner*innen oft der Begriff „Self Fulfilling Prophecy“. Als würde ich mich an jenen Tagen bloß in etwas hineinsteigern und mich so aufregen, dass mein Körper den Stress mit einer Migräne quittiert. Doch ich hatte es nicht mit einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu tun, da war ich mir sicher. Schließlich gab es meist nicht mal einen offensichtlichen Trigger, der wie ein Elefant im Raum stand und mich in Alarmbereitschaft versetzte. Auch kein Kribbeln oder etwas anderes Greifbares – bloß das migränige Gefühl, für das ich erst selbst ein Wort erfinden musste.
Psychische Vorboten in der Prodromalphase
Was ich viele Jahre nicht wusste: Ich bin bei weitem nicht die einzige Wahrsagerin unter den Migräniker*innen. Bei rund 30 Prozent der Betroffenen kündigt sich eine Attacke bis zu zwei Tage im Voraus an. In dieser Vorbotenphase können verschiedene psychische und physische Symptome auftreten, die aufgrund des zeitlichen Abstands oftmals gar nicht mit der später eintretenden Migräne in Verbindung gebracht werden. So können zum Beispiel Stimmungsschwanken auf einen bevorstehenden Anfall hinweisen. Migräne-Patient*innen berichten in der sogenannten Prodromalphase häufig von starker Gereiztheit, innerer Unruhe sowie euphorischen, aber auch deprimierten Gefühlen. Tatsächlich alles andere als untypisch, da Menschen mit Migräne ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko haben. Forschende der niederländischen Universität Leiden haben 2010 im Rahmen einer Studie mit 2.600 Teilnehmenden den genetischen Zusammenhang zwischen Migräne und Depression untersucht und das Ergebnis war eindeutig: Bei Betroffenen von Migräne ohne Aura war das Risiko an einer Depression zu erkranken um 30 Prozent erhöht. Bei den Patient*innen mit Aura stieg das Risiko sogar um 70 Prozent. Im selben Jahr bestätigte auch Dr. Andrew Ahn von der University of Florida in Gainesville, dass Migräne und Depression einen gemeinsamen genetischen Faktor haben. Kein Wunder also, das Stimmungsschwankungen und depressive Verstimmungen zu den häufigsten Vorboten zählen. Aber auch Schlafstörungen, häufiges Gähnen, Müdigkeit oder ein starkes Schwächegefühl können auf eine bevorstehende Migräne hinweisen. Es lohnt sich also, im Alltag auch ungewöhnliche Symptome zu hinterfragen, die auf den ersten Blick nichts mit Kopfschmerzen zu tun haben. Und gleichzeitig erklären diese scheinbar zusammenhangslosen Anzeichen die Vorahnungen, die viele Betroffene haben, bevor Stunden später der Schmerz einsetzt. Denn ihr Körper erinnert sich an die Abfolge der einzelnen Beschwerden und zählt eins und eins zusammen, auch wenn der Groschen im Kopf noch nicht gefallen ist.
Ich griff nach meinem Smartphone und gab die Suchbegriffe „Migräne“ und „häufiges Wasserlassen“ bei Google ein: 29.900 Ergebnisse! Wow. So fand ich heraus, dass mir meine Migräne gelegentlich körperliche Vorboten schickt.
Körperliche Anzeichen in der Vorbotenphase
„Keine Ahnung, was heute los ist“, sagte ich an einem Nachmittag vor ein paar Jahren zu meiner besten Freundin. „Ich muss pinkeln wie ein Pferd.“ Wir lachten und nachdem ich gefühlt zum 20. Mal auf Toilette war, ohne besonders viel getrunken zu haben, setzten die Kopfschmerzen ein. Vernichtende Kopfschmerzen. Eine halbe Stunde später lag ich im verdunkelten Schlafzimmer auf dem Bett und meine Freundin reichte mir ein Triptan und eine Tablette gegen die Übelkeit. „Was für ein blödes Timing“, dachte ich, „ausgerechnet jetzt, wo sie doch so weit weg wohnt und wir uns so selten sehen“. Als der Anfall am nächsten Morgen überstanden war, setzten wir unser Freundinnen-Wochenende fort und ich dachte nicht weiter darüber nach. Nach ihrer Abreise zogen die Wochen ins Land und meine Migräne kam und ging – wie üblich. Bis ich eines Tages wieder diesen unerklärlichen Harndrang verspürte. Plötzlich erinnerte ich mich an meinen Pferdewitz zurück und wie sehr meine Freundin darüber gelacht hatte. Und an den darauffolgenden Migräne-Anfall, den ich – wäre sie damals nicht zu Besuch gewesen – vermutlich nicht mal mehr am selben Tag verortet hätte. Und siehe da: Zwei Stunden und etwa zwölf Toilettengänge später lag ich wieder mit hämmernden Kopfschmerzen flach. Sobald die Medikamente anfingen zu wirken, griff ich nach meinem Smartphone und gab die Suchbegriffe „Migräne“ und „häufiges Wasserlassen“ bei Google ein: 29.900 Ergebnisse! Wow. So fand ich heraus, dass mir meine Migräne gelegentlich körperliche Vorboten schickt. Ich hatte sie bisher bloß nie richtig gedeutet. Und das erhöhte Pinkel-Aufkommen ist nicht das einzige physische Symptom in der Prodromalphase. Auch plötzlicher Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel kann ein Anzeichen für eine nahende Attacke sein – je fettiger und süßer desto besser. Andere klagen in dieser Frühphase über eine verstopfte Nase oder tränende Augen. Bei einigen Betroffenen spielt im Vorfeld hingegen der Darm verrückt und sie zerbrechen sich den Kopf, ob sie etwas Falsches gegessen oder sich ein Virus eingefangen haben, dabei ist in Wahrheit eine Migräne im Anmarsch. Darauf muss man erst mal kommen.
»Migräne-Vorzeichen können in mehrfacher Hinsicht hilfreich sein. Denn nur wer die psychischen und körperlichen Symptome zu interpretieren weiß, kann sich den zeitlichen Vorsprung zu Nutze machen.«
Was tun, wenn sich eine Migräne ankündigt?
Für mich war es ein regelrechtes Aha-Erlebnis, zu erkennen, dass es zahlreiche Migräne-Vorzeichen gibt, die ich vorher nie mit Kopfschmerzen in Verbindung gebracht hätte. Wie gesagt: So eine Vorwarnung kann gleich in mehrfacher Hinsicht hilfreich sein. Denn nur wer die Symptome zu interpretieren weiß, kann sich den zeitlichen Vorsprung zu Nutze machen und seine Pläne gegebenenfalls noch ändern. Ein Konzert mit wummernden Bässen oder eine kräftezehrende Sporteinheit sind jedenfalls nicht empfehlenswert, wenn sich eine Migräne ankündigt. Außerdem lässt sich dank der Vorboten noch schnell checken, ob alle Medikamente vorrätig sind, sodass man notfalls noch mal schnell in die Apotheke huschen kann. Vor allem bei Triptanen kommt es auf die rechtzeitige Einnahme bei Schmerzeintritt an, um die beste Wirkung zu erzielen und den Anfall im Zaum zu halten. Ich spreche aus Erfahrung: Es gibt wirklich nichts Schlimmeres als zu spät zu merken, dass es sich bei der Triptan-Packung im Schrank bloß um eine leere Attrappe handelt, die man vergessen hat wegzuwerfen. Unterm Strich muss natürlich jede*r für sich selbst herausfinden, bei welchen Symptomen es sich um Vorboten handeln könnte. Denn wir alle sind verschieden und je nach Tagesverfassung variieren die Anzeichen sogar bei uns selbst. Erst vor kurzem habe ich auf der Couch gesessen und auf einmal ein starkes Ziehen im Nacken gespürt. Erst glaubte ich, dass meine schlechte Haltung Schuld sei und habe mich gerade hingesetzt. Anschließend war ich davon überzeugt, dass plötzlich der Muskelkater vom Schwimmen einsetzt. Doch dann fühlte es sich plötzlich an, als würden die Verspannungen den Kopf hochwandern und da wusste, dass es sich um eine Migräne-Vorstufe handelt. So sind mir im Laufe der Zeit einige Vorzeichen aufgefallen, die ich früher nie mit einer darauffolgenden Migräne in Verbindung gebracht hätte. Dabei geholfen hat mir übrigens das Kopfschmerztagebuch, dem ich hier schon mal eine eigene Kolumne gewidmet habe. Denn im Gegensatz zu mir vergisst es nie, welche Beschwerden am selben Tag aufgetreten sind. Also fang an zu schreiben und lass die Suche nach Mustern beginnen.
Quellen
- Ärztezeitung, Migräne und Depression treten oft im Zusammenhang auf, 2010:https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Migraene-und-Depression-treten-oft-zusammen-auf-210682.html#:~:text=Den%20genetischen%20Zusammenhang%20haben%20niederländische,74%2C%202010%2C%20288
- Dr. Rose Shaw, Existiert zwischen Migräne und Depression ein genetischer Zusammenhang?, 2010: https://www.praxis-dr-shaw.de/blog/existiert-zwischen-migrane-und-depressionen-ein-genetischer-zusammenhang/
- Neuropraxis Grünwald, Die verschiedenen Migräneanzeichen:https://neuropraxis-gruenwald.de/18-anzeichen-einer-migraene/
- kopfschmerzen.de, Migräne-Verlauf: Die fünf typischen Phasen:
- https://www.kopfschmerzen.de/migraene/verlauf-migraene
- Neurologen und Psychiater im Netz, Vorphase kann Migräne-Attacke ankündigen:https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/ratgeber-archiv/artikel/vorphase-kann-migraene-attacke-ankuendigen/
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Folge 12 – Wie kündigt sich Migräne an?
„Irgendwie fühle ich mich heute migränig.“ - Vorboten und erste Anzeichen. Diana berichtet, wie sich bei ihr die Migräne ankündigt.
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