#6
Migräne im Urlaub

Folge 6 – Entspannungskopfschmerz

Ab in den Urlaub – deine Migräne ist schon da!

Geschafft! Die Füße stecken im warmen Sand, der Arbeitsalltag rückt in weite Ferne und die sommerliche Idylle wird vom Rauschen der Wellen untermalt. Wäre da nicht dieses unterschwellige Gefühl, das nichts Gutes erahnen lässt. „Bitte nicht jetzt“, denke ich dann oft noch, bevor die Migräne auch schon über mich hereinbricht und die Urlaubsidylle in den Schatten stellt. Ein Phänomen, das vielen Patient*innen bekannt vorkommen dürfte. Aber wie kommt es bloß immer wieder zu diesem ungünstigen Timing und warum ist das Migräne-Risiko ausgerechnet in wohlverdienten Auszeiten erhöht? Fragen über Fragen, auf die es gleich eine ganze Reihe von Antworten gibt.

Schmerzhafte Reiseerfahrungen

Ich blicke auf zahlreiche schmerzhafte Reiseerfahrungen zurück: Migräne im Flugzeug, Migräne beim Campen, Migräne auf Safari in Tansania, Migräne in einem stickigen Hotelzimmer ohne Klimaanlage, Migräne auf einem Musikfestival in Slowenien, Migräne nach einer Bergwanderung in Tirol – ich schätze, da zeichnet sich ein Muster ab. Wann immer ich mich auf eine verdiente Auszeit freue, kann ich davon ausgehen, dass mein Kopf den ersten Urlaubstag mit einer heftigen Schmerzattacke zelebriert. Und mit dieser Bürde bin ich nicht allein. Die Forscherin Sandra Waeldin von der Universität Trier konnte mit ihrem Team im Rahmen einer Studie nachweisen, dass diejenigen, die die Erholung am nötigsten haben, am häufigsten unter sogenannten Poststress-Symptomen leiden. Demnach ist das Risiko, im Urlaub an besonders ausgeprägten Spannungskopfschmerzen, Migräneanfällen oder Magen-Darm-Beschwerden zu leiden für vorbelastete Menschen viermal so hoch wie für gesunde. Der Grund dafür ist der plötzliche Stressabfall, der direkte Auswirkungen auf die Reizverarbeitung im Gehirn hat. Außerdem kommen am Anreisetag meist noch weitere Trigger wie ein unterbrochener Schlafrhythmus, wegfallende Mahlzeiten und plötzliche Temperaturunterschiede hinzu. Unterm Strich treffen daher gerade zu Urlaubsbeginn eine ganze Reihe von Auslösern aufeinander. Doch das Wissen um das erhöhte Risiko macht es mir als Patientin nicht leichter. Im Gegenteil: Wie die meisten Betroffenen, empfinde ich die Attacken an diesen Tagen als besonders belastend, schließlich habe ich die Auszeit meist nicht nur bitter nötig – sie ist auch zeitlich begrenzt, weshalb jeder verlorene Tag gleich doppelt schmerzt. Und das betrifft nicht nur mich, sondern auch die Menschen, mit denen ich unterwegs bin und die sich genauso auf einen entspannten Start in die Ferien gefreut haben wie ich.

Wann immer ich mich auf eine verdiente Auszeit freue, kann ich davon ausgehen, dass mein Kopf den ersten Urlaubstag mit einer heftigen Schmerzattacke zelebriert.

Trigger-Roulette

Wissenschaftler*innen gehen inzwischen davon aus, dass die Phase des Runterkommens sogar ein größerer Migränetrigger ist als die der vorangegangenen Belastung. Und das ergibt Sinn, denn der Körper schüttet in der Let-Down-Phase weniger schmerzregulierende Stresshormone aus, während er parallel zahlreiche neue Eindrücke verarbeiten muss. Und genau an dem Punkt wird es auf Reisen gefährlich, denn das Risiko einer Migräne-Attacke steigt ja bekanntlich mit der Anzahl der Reize, denen wir ausgesetzt sind. Das geht schon bei der Anreise los: Stimmengewirr im Zugabteil, Parfümwolken im Duty-Free-Shop, Luftdruckveränderungen in der Flugzeugkabine – gefolgt von Jetlag, Hitze und einem alkoholhaltigen Begrüßungscocktail an der Poolbar. Die Liste potenzieller Auslöser ist lang und nicht selten kommen im Laufe des Lebens immer wieder neue hinzu, von denen wir bis dahin noch gar nichts wussten. Ich musste mein Gepäck beispielsweise erst eine defekte Rolltreppe in Prag hochschleppen, um zu realisieren, dass auch das Tragen eines schweren Koffers einen Anfall bei mir triggern kann. Aber auch zu eng sitzende Kopfhörer oder der Luftzug einer Klimaanlage können Betroffene außer Gefecht setzen. Selbst als migräneerfahrene Person lohnt es sich daher, genauer hinzuschauen und auch althergebrachte Gewohnheiten als Trigger in Betracht zu ziehen. Zwar werden wir – vor allem fernab unseres Alltagtrotts – nicht alle Risikofaktoren umgehen können, doch wir können sie minimieren und das ist immerhin ein Anfang. Das geht bereits bei den klimatischen Bedingungen am Reiseziel los: Viele Migräne-Patient*innen haben über die Jahre ein Gespür dafür entwickelt, mit welchen Temperaturen und welchem Luftdruck sie gut klarkommen und bei welchem Wetter sie besonders anfällig für Kopfschmerzen sind. Diese individuellen Erkenntnisse müssen wir bei der Reiseplanung unbedingt berücksichtigen, denn was dem einen guttut, kann für die andere in einem Albtraum enden. Mir persönlich macht Hitze beispielsweise gar nichts aus, jedoch reagiere ich extrem empfindlich auf Wind und Gewitter.

Stimmengewirr im Zugabteil, Parfümwolken im Duty-Free-Shop, Luftdruckveränderungen in der Flugzeugkabine – gefolgt von Jetlag, Hitze und einem alkoholhaltigen Begrüßungscocktail an der Poolbar. Die Liste potenzieller Auslöser ist lang.

(Reise-)Planung ist das A und O

Die Basis für einen entspannten Ferienbeginn ist ein Puffer zwischen dem letzten Arbeits- und dem ersten Urlaubstag. Schließlich brauchen wir einen Moment, um zu realisieren, dass alle Alltagstermine, To-Dos und Übergaben abgehakt sind, bevor wir uns dem Endspurt des Packens widmen. Um es gleich vorwegzunehmen: An diesem Punkt bin ich erst vor zwei Wochen mal wieder grandios gescheitert. Gerade mal fünf Stunden bevor ich zum Flughafen musste, habe ich – anstatt mich auszuruhen – ironischerweise an diesem Text gesessen und somit beeindruckend unter Beweis gestellt, wie man NICHT in den Urlaub starten sollte. Die Quittung habe ich noch unterwegs bekommen, doch ich hatte zum Glück meinen zweitwichtigsten Tipp beherzigt: Medikamente gehören ins Handgepäck! Nichts ist schlimmer als mehrere Stunden mit pulsierenden Kopfschmerzen und starker Übelkeit in einer dröhnenden Flugzeugkabine gefangen zu sein und nicht an die Triptane im Koffer zu kommen. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede... Ein weiterer Punkt, auf den Migräniker*innen bei der Reiseplanung achten sollten, sind Direktverbindungen. Denn nicht umsteigen zu müssen, nimmt uns die Sorge, den Anschluss zu verpassen und wir können innerlich zur Ruhe kommen, sobald wir unseren Platz eingenommen haben. Auch, wer mit dem Auto in den Urlaub fährt, kann bei der Anreise einiges beachten: Ich fahre lange Strecken beispielsweise nur noch im Hellen, wenn ich selbst hinterm Steuer sitze, da die reflektierenden Lichter meine Reizverarbeitung – vor allem bei Nässe – schnell an ihre Grenzen bringen. Hinzu kommt, dass man nicht um die halbe Welt fliegen muss, um seinen Schlafrhythmus zu stören. Wer beispielsweise mitten in der Nacht losfährt, um freie Bahn zu haben, kann nach einer zehnstündigen Autofahrt auch mit einem Jetlag in Garmisch-Partenkirchen ankommen. Letztendlich sind es diese kleinen Unregelmäßigkeiten, die wir vermeiden sollten. Auch das Einhalten regelmäßiger Mahlzeiten zählt dazu, da starke Schwankungen des Blutzuckerspiegels im Körper Entzündungsprozesse auslösen und zu Migräneanfällen führen können.

Die Vorfreude war groß, der erste Morgen im Urlaub nicht wirklich.

Tipps für unterwegs

Letztendlich gibt es auch fürs Reisen keine Goldene Regel, die uns einen schmerzfreien Urlaub garantieren kann. Leider. Doch es gibt zahlreiche Risikofaktoren, die wir zumindest eindämmen und im Auge behalten können. Was meinen Sardinien-Urlaub betrifft, aus dem ich gestern zurückgekehrt bin: Es war traumhaft schön und ich konnte mit Sicherheit einige Trigger umgehen, doch ich hatte auch viel Pech. Zum einen ist die Reise ausgerechnet in die Phase meines Zyklus gefallen, in der ich besonders anfällig für Kopfschmerzen bin. Zum anderen wurden wir auch noch tagelang von meiner persönlichen Endgegnerin verfolgt: einer Gewitterwolke! Trotzdem werde ich die Reise in schönster Erinnerung behalten, denn wenn ich eins über die Jahre gelernt habe, ist das die Tatsache, dass es nichts bringt, sich über das eigene Migräne-Timing zu ärgern und sich so noch mehr unter Druck zu setzen. Stattdessen versuche ich mich über all die kleinen Tricks und Travel-Gadgets zu freuen, die mir das Leben auf Reisen seit einigen Jahren erleichtern und die ich nun auch euch ans Herz legen möchte:

  • Lasst es ruhig angehen und verausgabt euch nicht! Gönnt euch bei größeren Strecken eine Zwischenübernachtung und lasst euer Ausflugsprogramm vor Ort nicht in Stress ausarten. Unser Körper braucht regelmäßige Ruhephasen und Entspannungstage.
  • Habt eure Notfallmedikamente immer griffbereit in der Handtasche, denn gerade bei Triptanen gilt: je früher die Einnahme, desto größer die Chance, dass das Medikament anschlägt.
  • Eine gutsitzende Sonnenbrille ist ein Muss, da intensive Lichtreize zu den häufigsten Triggern gehören. Dazu gehören neben direkter Sonneneinstrahlung auch reflektierende Wasseroberflächen, weiße Strände und Skipisten (u. a.).
  • Packt unbedingt eine Schlafmaske ein, mit der ihr euch unterwegs und in Hotelzimmern ohne Jalousien vom grellen Tageslicht abschotten könnt. Für diejenigen, denen im Akutfall Kälte hilft, gibt es auch kühlende Gelmasken.
  • ANC-Kopfhörer! Dank der Active-Noise-Cancelling-Funktion, lassen sich laute Umgebungsgeräusche – wie das Dröhnen in der Flugzeugkabine oder das einer Klimaanlage – unterdrücken. Diese „Stille auf Knopfdruck“ hat mich unterwegs bereits mehrfach gerettet.

Quellen:

StudieSandra Waeldin, Studie: „Frequency of Perceived Poststress Symptoms in Inpatients, Outpatients and Healthy Controls: The Role of Perceived Exhaustion and Stress”, 2015

Randolph W. Evans, MD, Studie im Journal Neurology: „The Clinical Features of Migraine With and Without Aura”, 2014

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de