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Junge Frau im Spa, entspannt auf Liege. Thema: Migräne Junge Frau im Spa, entspannt auf Liege. Thema: Migräne

Folge 21 – Wellness und Migräne

Warum Entspannung oft das Gegenteil bewirkt

Der Sommerurlaub ist bereits in weite Ferne gerückt, die Temperaturen fallen, die Tage werden kürzer – was gibt es da Schöneres als einen Nachmittag im Spa? Man gönnt sich ja sonst nichts. Zwischen aromatischen Sauna-Aufgüssen und beruhigenden Klängen im Whirlpool ist der Alltag meist schnell vergessen. Zumindest ist das der Effekt, den sich die meisten erhoffen. Bei Migräniker*innen kann eine solche Auszeit jedoch schnell nach hinten losgehen. Der Grund dafür sind zahlreiche Trigger, die ausgerechnet dort lauern, wo gestressten Menschen Erholung versprochen wird. Worauf ihr beim Wellness achten könnt und warum ihr euch nicht zu schnell entmutigen lassen dürft, hat Diana in ihrem neuen Beitrag für euch zusammengefasst.

Privates Spa zur Belohnung

Im vergangenen Frühling habe ich nach drei Jahren Arbeit ein großes Projekt zum Abschluss gebracht. Um genau zu sein, eine vierteilige Dokumentation, bei der ich Regie geführt habe. Am Tag vor der Premiere konnte ich selbst kaum glauben, dass es vollbracht war. Drei Jahre voller Höhen und Tiefen sowie unzählige Nachtschichten lagen hinter mir und nun sollten die fertigen Filme endlich das Licht der Welt erblicken. Ich glaube, ich muss nicht dazu sagen, dass ich sehr aufgeregt war. Bekannte aus ganz Deutschland hatten angekündigt, zur Premierenfeier anzureisen und es gab bereits zahlreiche Presseakkreditierungen. Mit anderen Worten: Es gab kein Zurück. Der perfekte Zeitpunkt, um sich am Tag vor dem großen Spektakel mal für ein paar Stunden zurückzuziehen, um den Stress der vergangenen Wochen loszulassen. Gemeinsam mit meiner Mutter, die ebenfalls extra angereist war, hatte ich bereits im Vorfeld eine private Wellness-Suite gebucht. Whirlpool, Dampfsauna, Massageliege – dazu duftende Peelingsalze und ein Willkommensdrink. Es klang zu schön, um wahr zu sein und wir wurden nicht enttäuscht. Der Raum gehörte uns allein und im Hintergrund waren fernöstliche Klänge und das Pfeifen des Saharawindes zu hören. Ich spürte, wie sich meine Muskelverspannungen von Minute zu Minute verflüchtigten und auch meine Nervosität verblasste schlagartig. Ich hätte mir keinen entspannteren Mama-Tochter-Tag vorstellen können. Als wir uns schließlich mit weicher Babyhaut und vollkommen groggy auf den Heimweg machten, waren wir uns einig: Das war der perfekte Nachmittag. Doch der Erholungseffekt war, zumindest für mich, nur von kurzer Dauer. Etwa zwei Stunden später machte sich das typische diffuse Gefühl in mir breit, das meist einer Migräneattacke vorausgeht. Ich legte mich sofort hin und hoffte, dass sich das Schlimmste noch abwenden ließ. Aber der Anfall, der mich in den folgenden Stunden ans Bett fesselte, war kaum zu ertragen. Mein Kopf explodierte, der Lichtschimmer hinter den Vorhängen folterte mich und die Übelkeit gab mir den Rest.

Ich wollte mir mit dem Spa-Besuch etwas Gutes tun und habe stattdessen eine Migräneattacke getriggert.

Kann Sauna Migräne auslösen?

Die gute Nachricht vorweg: Die Attacke an jenem Abend war schlimm und das Timing katastrophal, aber am nächsten Morgen ging es mir wieder gut und auch der Migränekater hielt sich Grenzen, sodass ich meinen großen Tag in vollen Zügen genießen konnte. Doch der Vorfall hat mich zum Nachdenken gebracht. Schließlich wäre ich im Traum nicht auf die Idee gekommen, mich vor einem so wichtigen Tag körperlich zu verausgaben oder feiern zu gehen. Ich habe wirklich versucht, sämtliche Trigger zu vermeiden. Doch rückblickend hätte ich es besser wissen müssen. Es sind eben nicht bloß die Überschreitungen offensichtlicher körperlicher Grenzen, die einen Anfall auslösen können. In der Regel spielen mehrere Faktoren zusammen und vor allem die Tagesverfassung ist dabei nicht zu unterschätzen. Dass Stress zu Kopfschmerzen führen kann, ist allgemein bekannt. Bei Migräne ist es jedoch häufig so, dass die Betroffenen in der stressigen Phase selbst noch prima funktionieren. Stattdessen ist es die Entspannungsphase, in der die pulsierenden Schmerzen einsetzen und sämtliche Symptome der neurologischen Erkrankung zusammenkommen. Der Grund dafür ist das Stresshormon Cortisol. In aufreibenden Zeiten steigt der Cortisolspiegel und die schmerzlindernde Wirkung des Hormons treibt die betreffende Person zu Höchstleistungen an. Ist die stressige Phase überstanden, sinkt der Cortisolspiegel wieder. Diese Schwankungen begünstigen Migräneattacken. In diesem Zusammenhang ist auch oft von der sogenannten „Wochenendmigräne“ die Rede, da der Beginn der wöchentlichen Erholungsphase in der Regel auf den Samstag fällt. US-Neurologen haben herausgefunden, dass das Migräne-Risiko in den ersten sechs Stunden nach einer Stressphase sogar fünfmal höher ist als gewöhnlich. In Anbetracht der Tatsache, dass an jenem Tag eine wahnsinnig arbeitsintensive Zeit hinter mir lag und im Spa der ganze Druck von mir abfiel, scheint es nicht wirklich verwunderlich zu sein, dass der Auszeit eine Migräne folgte. Vor allem, wenn man bedenkt, welchen Triggern ich mich dort sonst noch ausgesetzt habe.

Junge Frau im Spa, lächelnd auf Liege. Thema: Migräne

Reizüberflutung im Wellnessbereich

Migräne ist auf eine genetisch bedingte Reizverarbeitungsstörung zurückzuführen. Das bedeutet, dass das Nervensystem von Betroffenen sehr empfindlich auf äußere Einflüsse wie Licht, Hitze, Kälte, Lärm, Streit und Aufregung reagiert, was einen dauerhaften Anstieg der Gehirnaktivität zur Folge hat. Das wiederum führt zu einem Energiedefizit in den Nervenzellen und löst eine Kettenreaktion aus. Es kommt zu Störungen der elektrischen Aktivität der Hirnrinde und zu einer unkontrollierten Freisetzung von Botenstoffen. Das Resultat sind Entzündungsreaktionen in den Blutgefäßen der Hirnhäute, die sich durch die typischen pulsierenden Schmerzen bemerkbar machen. Das Problem ist, dass selbst die meisten Betroffenen dazu neigen, diese Reizempfindlichkeit mit offensichtlichen Störfaktoren wie Krach, Ärger oder flackerndem Stroboskoplicht in Verbindung zu bringen. Dabei kann das Nervensystem auch auf von angenehmen Reizen überfordert sein. In meinem Fall reichte offenbar die Wärme in der Dampfsauna aus, um alles aus dem Gleichgewicht zu bringen. Während sich die hohen Temperaturen beim Saunieren für gewöhnlich positiv auf Spannungskopfschmerzen auswirken, kann Migräne davon getriggert werden. Die durch das starke Schwitzen fortschreitende Dehydration tut ihr übriges. Und als sei das nicht reizüberflutend genug, habe ich mich dann auch noch unter die Schwalldusche gestellt und mir im Anschluss einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt. Um ehrlich zu sein, komme ich mir ganz schön blöd vor, das zu erzählen. Aber in dem Moment habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich habe bloß den Moment der Entspannung genossen und mir kam gar nicht in den Sinn, dass ich dafür eine Rechnung in Form eines Migräneanfalls bekommen könnte. Dennoch ist es mir wichtig, davon zu berichten, weil dieses Beispiel zeigt, wie unberechenbar die Erkrankung ist und was Betroffene alles bedenken müssen. Es zählen eben nicht nur vermeintlich unvernünftige „Guilty Pleasures“ wie laute Musik, körperliche Verausgabung oder Alkoholgenuss zu den Triggern.

Manchmal lohnt sich ein zweiter Versuch, bevor man dauerhafte Konsequenzen aus einem Migräneanfall zieht.

Wenn Selbstfürsorge das Gegenteil erreicht

Einmal angefangen, konnte ich gar nicht mehr aufhören, darüber nachdenken, was an jenem Nachmittag alles zu der Attacke geführt haben könnte. So dauerte es nicht lang, bis ich neben dem plötzlichen Stressabfall, den massiven Temperaturschwankungen und der damit einhergehenden Dehydration noch eine ganze Reihe weiterer äußerer Reize identifizieren konnte. Zum Beispiel das duftende Peelingsalz, mit dem wir uns vor jedem Saunagang eingerieben haben. Denn auch, wenn etwas gut riecht, handelt es sich dabei für Migräniker*innen in erster Linie um einen neuen äußeren Reiz – von dem prickelnden Gefühl auf der Haut einmal ganz abgesehen. Und damit nicht genug, auch die individuell einstellbare Beleuchtung fällt in diese Kategorie. Vor allem, da wir uns anfangs für ein pinkes Lichtspiel entschieden haben, an das meine Wahrnehmung im Alltag nicht gerade gewöhnt ist. So kam ich bei meiner Analyse, wie man so schön sagt, von Höcksken auf Stöcksken. Und zurück blieb das frustrierende Gefühl, in Bezug auf diese Erkrankung nichts richtig machen zu können. Sollte das Fazit etwa sein, mein Stresslevel künftig oben zu halten und als Vorsichtsmaßnahme nie wieder zum Wellness zu gehen? Ich sag euch was: Ich habe es neulich auf einen zweiten Versuch ankommen lassen. An einem ganz normalen Wochenende, als eine gute Freundin zu Besuch war. Ohne eine vorausgegangene Phase der Überarbeitung, ohne die Anspannung eines bevorstehenden großen Tages. Wieder habe ich meinen kompletten Körper mit Duftsalz eingerieben. Wieder habe ich in der Dampfsauna geschwitzt. Wieder habe ich mir einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Und wisst ihr was? Diesmal ging es mir im Anschluss großartig. Manchmal lohnt sich ein zweiter Versuch, bevor man dauerhafte Konsequenzen aus einem Migräneanfall zieht.

Quellen

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de