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Paar, Arm in Arm, schlafend im Bett. Thema: Migräne Paar, Arm in Arm, schlafend im Bett. Thema: Migräne

Folge 18 – Schmerzhaftes Beziehungsdreieck

Die Migräne, mein Mann und ich

Wer mit Migräne lebt, weiß, dass die neurologische Erkrankung nicht nur starke Schmerzen mit sich bringt – sondern auch Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit. Sowohl für die Betroffenen selbst als auch für ihre Partner*innen. In einer Beziehung gibt es somit immer zwei Menschen, die ihren Alltag nach den Attacken ausrichten müssen. Das führt unweigerlich zu Frust und Gewissensbissen, und zwar auf beiden Seiten. Um dieser Abwärtsspirale aus Pflicht- und Schuldgefühlen entgegenzuwirken, ist es wichtig, miteinander zu reden und die Migräne als eigenständige Interakteurin anzuerkennen, mit der sich beide Seiten arrangieren müssen. Wie das gelingt und welche Hürden betroffene Paare dabei nehmen müssen, hat Diana in ihrem neuen Beitrag für euch zusammengefasst.

Date Night, Pizza & Co

Wir haben eine harte Woche voller Überstunden und lästiger Termine hinter uns, umso größer ist die Freude auf das anstehende Wochenende. Schon seit Tagen fiebern wir diesem Freitagabend entgegen. Wir wollen den neuen Ghostbusters-Film schauen und haben nach der Arbeit schon für unser Lieblingsessen eingekauft. Selbstgemachte Pizza und Tiramisu soll es geben. Mein Mann steht bereits seit einer Stunde in der Küche, um den Teig zu kneten und die Löffelbiskuits in kalten Kaffee zu tunken, als ich ein verdächtiges Ziehen in meinem Nacken wahrnehme. Optimistisch dehne ich meinen Hals in alle Richtungen und stelle den Weißwein kalt. Wahrscheinlich habe ich mich bloß verlegen. „Schau, wie toll der Teig aufgeht“, verkündet mein Partner und lässt mich einen Blick in die Schüssel werfen. „Das wird ein Festmahl.“ Während seine Vorfreude auf unseren gemeinsamen Abend ins Unermessliche steigt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl und ich spüre, wie sich ein diffuser, kaum wahrnehmbarer Druck in meinem Kopf ausbreitet. Um die Stimmung nicht direkt zu ruinieren, gehe ich unter einem Vorwand zu meiner Medikamentenschublade und nehme heimlich eine Kopfschmerztablette. Doch dann legt sich innerhalb weniger Minuten ein Schalter um. Plötzlich kann ich den klebrigen Hefeteig riechen, die Deckenlampe blendet mich und mir wird schlecht. Und warum ist überhaupt das Radio so laut? „Ich muss mich mal kurz hinlegen“, sage ich leise. Verdutzt dreht sich mein Mann zu mir um. Für einen Moment glaube ich, die Enttäuschung in seinem Blick zu sehen, denn er kennt das schon. Dann zwingt er sich zu einem Lächeln. „Ruh dich kurz aus, das wird schon“, höre ich ihn noch sagen, als ich die Küche verlasse. Es klingt, als würde er sich selbst nicht glauben. In meiner rechten Kopfhälfte manifestieren sich nun zunehmend die pulsierenden Schmerzen, während sich die Übelkeit in meiner Brust festsetzt. Ich kann nicht mehr. Wir brauchen diesen Abend. Wir haben ihn uns verdient, bevor bei ihm morgen schon wieder eine Verabredung auf dem Programm steht. Ich möchte laut schreien vor Wut, weil mein Körper nicht mitspielt, aber stattdessen steigen mir Tränen in die Augen. Ich würde mich so gerne zusammenreißen. Für mich. Für uns. Aber ich kann nicht.

Ich glaube nicht, dass mein Mann wusste, was auf ihn zukommt, als ich ihm zu Beginn unserer Beziehung erstmals von meiner Migräne erzählt habe.

Überraschung: Dein Date wurde gecancelled

Ich glaube nicht, dass mein Mann wusste, was auf ihn zukommt, als ich ihm zu Beginn unserer Beziehung erstmals von meiner Migräne erzählt habe. Woher auch? Wer noch nie dabei gewesen ist, wenn sich ein Anfall anbahnt und die betroffene Person über Stunden außer Gefecht setzt, kann sich darunter meist nicht viel vorstellen. Bei Kopfschmerzen nimmt man halt eine Tablette, oder? Von der lähmenden Intensität der Schmerzen und den zahlreichen Begleiterscheinungen machen sich die meisten Menschen daher keine Vorstellung. Dasselbe gilt für die Spontanität und Dauer einer Attacke und die damit verbundenen Einschränkungen, die nicht nur die Person selbst betreffen, sondern auch ihr Umfeld. Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass ich eine Veranstaltung, auf dem Höhepunkt des Abends verlassen musste; dass ich zwei ganze Festivaltage mit Ohrstöpseln und Schlafmaske in unserem Bulli verbracht habe; oder dass ich Weihnachten wie ein Häufchen Elend am Tisch saß und mich nach dem Essen übergeben musste, für das meine Mutter zuvor den halben Tag in der Küche gestanden hat. An diesen Tagen weiß ich nicht, wer mir mehr leidtut. Ich selbst, weil ich es bin, die die Schmerzen ertragen muss und die alles verpasst. Oder meine Liebsten, die mit einem schlechten Gewissen versuchen, ohne mich das Beste draus zu machen, während ich mich nebenan vor Schmerzen winde. Viele Angehörige von Migräniker*innen berichten in diesem Zusammenhang von einem unglaublich belastenden Gefühl der Hilflosigkeit. Klar, während die meisten wissen, was zu tun ist, wenn sich jemand eine Magen-Darm-Grippe eingefangen (Tee und Zwieback) oder ein Bein gebrochen hat (Notarzt), ist es nahezu unmöglich, jemandem während eines Migräneanfalls beizustehen. Denn alles, was Betroffene in dem Moment wollen, ist ihre Ruhe. Oder?

Während ich mich frage, wie lange mein Partner das noch mitmacht, schämt er sich oft dafür, von meiner Migräne genervt zu sein.

Zwischen Anteilnahme und Erschöpfung

Das Resultat: Zwei Menschen, die sich mit Gewissenbissen quälen und sich von der unberechenbaren Erkrankung beide ungerecht behandelt fühlen. Während ich körperlich durch die Hölle gehe und mich dabei insgeheim frage, wie lange mein Partner das noch mitmacht, schämt er sich oft dafür, von Situation genervt zu sein. Daraus ergibt sich ein Drahtseilakt zwischen Mitleid, Anteilnahme und Unterstützung auf der einen Seite – und Wut, Frust und Erschöpfung auf der anderen. Auch für mich als Betroffene war es lange Zeit lang sehr schwer, mit den Gefühlen meines Partners, bezüglich meiner Migräne, umzugehen. Einerseits quälte mich der Gedanke, schuld daran zu sein, dass uns ständig gemeinsame Zeit verloren ging und er dank mir auch immer wieder in blöde Situationen geriet – zum Beispiel, wenn er sich allein am Urlaubsort beschäftigen musste, während ich auf dem abgedunkelten Zimmer mit meinen Dämonen kämpfte. Andererseits bin ich in diesen Momenten auch sehr verletzlich. Ich kann es währenddessen zwar meist nicht zeigen, geschweige denn sprechen – aber ich freue mich, wenn er ab und zu wortlos nach mir schaut und mir seine kalte Hand auf die Stirn legt. Ihn mit meiner Migräne möglichst wenig belasten zu wollen, gleichzeitig aber auch umsorgt werden zu wollen, ist ein wahres Dilemma. Deshalb war es rückblickend ein wichtiger Schritt für mich, zu erkennen, dass nicht nur ich ein Recht darauf habe, wütend auf diese Krankheit zu sein. Mittlerweile sind wir seit zwölf Jahren zusammen und auch mein Mann hat oft zurückstecken und mit kurzfristigen Planänderungen und Absagen umgehen müssen. Auch wenn er die Schmerzen nicht selbst ertragen muss, betrifft die Migräne sein Leben genauso wie meins. Also ja: Es ist sein gutes Recht, genervt davon zu sein, wenn mein Kopf uns mal wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Ich bin es ja auch. Diese Wut nicht auf mich zu beziehen, musste ich erst lernen. Seitdem stelle ich mir die Migräne als eine lästige Nachbarin vor, die ständig unangekündigt auf der Matte steht und unsere Pläne durchkreuzt – denn auf diese fiktive Trulla können wir gemeinsam wütend sein.

Improvisation ist Trumpf

Zurück zu dem geplanten Pizzaabend. Ich liege also heulend auf der Couch und resigniere. Es bringt eh nichts mehr dagegen anzukämpfen. Wenn die Migräne erst einen Fuß in der Tür hat, lässt sie sich so schnell nicht abwimmeln. Nach ein paar Minuten kommt mein Mann herein. Von seiner aufgedrehten guten Laune fehlt jede Spur. Leise schleicht er durch den Raum und zieht hinter mir die Vorhänge zu. Dann drückt er mir meine Akutmedikation in die Hand und zieht schließlich leise die Tür hinter sich zu. „Jetzt blockiere ich auch noch das Wohnzimmer“, denke ich. Doch für einen Umzug ins Bett ist es zu spät, an Aufstehen ist nicht mehr zu denken. Es dauert etwa eine Stunde, bis die Medikamente zu wirken beginnen und die erlösende Müdigkeit einsetzt. Dann drifte ich weg. Als ich wieder wach werde, hat sich das Licht im Raum verändert. Draußen scheint es bereits dunkel zu sein und in der Wohnung ist es jetzt mucksmäuschenstill. Ich ertaste den Schalter der Tischleuchte neben mir und brauche einen Moment, bis ich mich an das Licht gewöhnt habe. Auf dem Tisch steht ein Glas Wasser. Auf der Serviette daneben liegen zwei Pizzabrötchen. Daneben mein Handy. »22:23 Uhr« verrät mir das Display. Ich habe länger geschlafen als gedacht. Langsam wandert mein Daumen zu dem WhatsApp-Icon hinüber, an dem eine rote „5“ prangt. Eine der Nachrichten ist von meinem Mann: „Hey Schatz, wenn du das liest, geht es dir hoffentlich besser. Ich konnte das morgige Treffen mit meinem Arbeitskollegen auf heute vorverlegen. Das heißt, wir haben morgen Abend beide nichts vor und stattdessen ein Ghostbusters-Date. P.S.: Pizzateig und Tiramisu schmecken am zweiten Tag eh viel besser.“ Erleichtert lege ich mein Handy zur Seite und nehme einen Schluck Wasser. Ich bin dankbar dafür, dass er mich und meine Migräne inzwischen so gut lesen kann und dass sein schlechtes Gewissen ihn nicht länger davon abhält, im Akutfall seine eigene Abendplanung in Hand zu nehmen. Denn bestenfalls ist uns durch seine Improvisation sogar beiden geholfen.

Quellen

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de