Folge 15 – Wetterfühligkeit statt Frühlingsgefühle
Witterungsbedingte Migräne
Die Temperaturen steigen an, es ist wieder länger hell und die Kirschbäume stehen in voller Blüte. Endlich ist der Frühling da! Doch während alle anderen aus dem Winterschlaf erwachen und ambitionierte Freizeitpläne schmieden, steigt bei vielen Migräniker*innen die Anzahl der Kopfschmerztage rapide an. Für Betroffene ist es gleich doppelt unfair, dass ihre Lebensqualität ausgerechnet dann am meisten unter der Erkrankung leidet, wenn die Welt um sie herum vor lauter Frühlingsgefühlen kaum zu bremsen ist. Aber warum ist das eigentlich so? Welche Trigger kommen in dieser Jahreszeit hinzu und worauf können Kopfschmerzgeplagte achten? Diana hat für ihre neue Kolumne wieder mal etwas genauer hingeschaut und die dunkle Seite des Frühlings unter die Lupe genommen.
Unberechenbares Migränewetter
Ich bin neulich mit meinem Hund bei der Tierärztin gewesen, weil er Schmerzen in der Pfote hatte und etwas humpelte. „Unsere Physiotherapeutin hat sich heute morgen leider krankgemeldet“, sagte die Tierärztin, während der Untersuchung. „Das ist dieses unberechenbare Migränewetter.“ Keine drei Stunden später schaltete auch ich im Büro vorzeitig meinen Computer aus und begab mich in die Horizontale. Die Kopfschmerzen hatten sich nach dem Praxisbesuch langsam angepirscht und eskalierten schließlich innerhalb weniger Minuten. Das eingenommene Triptan half nicht. Daher blieb mir nichts anderes übrig als den Rest des Tages liegenzubleiben. In der folgenden Woche wiederholte sich dieser Ablauf nicht weniger als sechsmal. Parallel berichtete mir mein Partner von der Migräne einer Arbeitskollegin. Auch zwei Influencerinnen, denen ich folge, thematisierten ihre anhaltenden Kopfschmerzen bei Instagram. Und als ich es ihnen gleichtat und meine Dauermigräne in der Story thematisierte, meldeten mir gleich mehrere meiner Follower*innen zurück, dass es ihnen gerade ähnlich ging. Tatsächlich ist mir in den vergangenen Jahren schon öfter ein Anstieg meiner Schmerztage im Frühjahr aufgefallen, doch diesmal habe ich erstmals realisiert, dass dieses Phänomen nicht nur mich, sondern auch viele andere Menschen in meinem Umfeld betrifft. Man muss kein Genie sein, um einen Zusammenhang zwischen der Häufung von Migräneanfällen und dem wechselhaften Aprilwetter herzustellen. In der Woche, in der es mir so schlecht ging, hat es eines Morgens beispielsweise murmelgroße Eiskugeln gehagelt – zwei Tage später bin ich bei strahlend blauem Himmel im T-Shirt spazieren gegangen. Während das unberechenbare Wetter für gesunde Menschen einfach nur nervig ist, bedeutet es für Migräniker*innen wie mich eine ständige Reizüberflutung, die Schmerzattacken auslösen kann. Eine Entwicklung, die dank des voranschreitenden Klimawandels bald ganzjährig zu einem immer größeren Problem werden könnte. Im Rheintal wurden zum Beispiel gerade erst 30,1 Grad gemessen – ein trauriger Rekord für Anfang April. Und es wird nicht der letzte sein.
Insbesondere der Übergang von einem Hoch- in ein Tiefdruckgebiet kann zu körperlichen Reaktionen führen. Kein Wunder also, dass mich das wechselhafte Aprilwetter besonders migräneanfällig werden lässt.
Wie wirkt sich das Wetter auf Kopfschmerzen aus?
„Morgen schlägt das Wetter um“, hat meine Oma früher immer gesagt und ihre schmerzenden Knie gerieben. Bei unserer Nachbarin war es hingegen eine juckende alte Narbe, die verlässlich auf bevorstehende Wetterveränderungen hinwies. Als Kind war ich fasziniert davon, dass die beiden in die Zukunft schauen konnten. Von den meisten anderen wurden sie jedoch belächelt. Dabei verlangt ein Witterungsumschwung unserem Körper einiges ab: Egal, ob klirrende Kälte, drückende Gewitterluft, starker Wind oder sengende Hitze – extreme Wetterlagen können eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen. Migräne, Schwindel, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme und rheumatische Schmerzen zählen dabei zu den häufigsten Symptomen. Einer der Hauptgründe für die Beschwerden ist die Tatsache, dass unser vegetatives Nervensystem die äußeren Temperaturschwankungen beispielsweise durch Zittern oder Schwitzen ausgleichen muss, um unsere Körpertemperatur auf einem konstanten Niveau zu halten. Mediziner*innen vermuten, dass die Reizschwelle bei wetterempfindlichen Personen niedriger ist als bei anderen. Interessant, zumal es sich bekanntlich ja auch bei Migräne um eine Reizverarbeitungsstörung im Gehirn handelt. Insbesondere der Übergang von einem Hoch- in ein Tiefdruckgebiet kann bei Betroffenen zu körperlichen Reaktionen führen. Kein Wunder also, dass uns das wechselhafte Aprilwetter besonders migräneanfällig werden lässt. Fallen die Temperaturen, ziehen sich unsere Blutgefäße zusammen und der Blutdruck steigt. Dies ist auch ein Grund dafür, dass im Sommer viele Migräniker*innen empfindlich auf den ständigen Wechsel zwischen heißen Außentemperaturen und klimatisierten Räumen reagieren. Denn was im ersten Moment guttut, löst eine physische Kettenreaktion aus, die der Körper erst mal verarbeiten muss. Dasselbe gilt übrigens für die berühmte kalte Dusche nach dem Saunagang.
Temperaturschwankungen erhöhen das Kopfschmerzrisiko
Der Zusammenhang zwischen Migräne und Wetterfühligkeit konnte bereits in diversen Studien nachgewiesen werden. US-Amerikanische Forscher*innen haben über einen Zeitraum von sieben Jahren die Daten von mehr als 7.000 Betroffenen gesammelt und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Wetterverhältnisse an den Tagen vor, während und nach einer Kopfschmerzattacke gelegt. Dabei kam heraus, dass auch steigende Temperaturen das Kopfschmerzrisiko erhöhen. Kletterte das Thermometer innerhalb eines Tages um 5 Grad nach oben, erhöhte sich das Kopfschmerzrisiko um 8 Prozent. Auch in Deutschland hat es gerade erst eine Studie zum Thema „Wetterfühligkeit“ vom Deutschen Wetterdienst gegeben, die das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis: Die Hälfte der 1.623 Befragten gab an, dass das Wetter einen Einfluss auf ihre Gesundheit habe. Kopfschmerzen und Migräne wurden mit 59 Prozent als häufigste Symptome genannt. Dicht gefolgt von Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen und Schlafstörungen. Die Medizin-Meteorologin Kathrin Graw vom Deutschen Wetterdienst erklärte gegenüber dem ZDF außerdem, dass wir hohe Temperaturen im Frühling generell schlechter vertragen als im Hochsommer, wenn wir uns bereits an die Wärme gewöhnt haben. Daher macht es auch durchaus Sinn, unsere körperliche Anpassungsfähigkeit durch regelmäßige Kneipp- und Saunagänge oder Wechselduschen zu trainieren – allerdings sollten diese nur langsam gesteigert werden, um unnötige Stressreaktionen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nahezu logisch, dass ich auch immer wieder bei aufziehenden Gewittern mit Migräne zu kämpfen habe. Schließlich führen die plötzlichen Unwetter vor allem im Sommer zu hohen Temperaturschwankungen, die wiederum Gefäßverengungen, einen steigenden Blutdruck und ein erhöhtes körperliches Stresslevel zur Folge haben. Umso wichtiger ist es, den Körper an solchen Tagen durch leichte Mahlzeiten und regelmäßige Ruhephasen zu entlasten. Denn ein fettiger Burger oder ein anstrengendes Workout können bereits der Tropfen sein, der das Migränefass zum Überlaufen bringt.
Die Erkenntnis, viele Trigger – wie das Wetter – nicht beeinflussen zu können, nimmt eine Menge Druck von mir. Als Migräne-Patientin bin ich nämlich daran gewöhnt, nach jeder Attacke den Fehler bei mir zu suchen.
Migräne durch Heuschnupfen und Asthma
Ein weiterer physischer Stressfaktor, der im Frühling bei vielen Migräne-Patient*innen hinzukommt, ist der Heuschnupfen. Forschende der Universität Cincinnati vermuten einen Zusammenhang zwischen der allergischen Rhinitis und Migräne. Bei einer Studie mit rund 6.000 Teilnehmenden kam heraus, dass Migräniker*innen mit Heuschnupfen häufiger Kopfschmerzen haben und unter stärker ausgeprägten Attacken leiden. Auch ein Zusammenhang zwischen Migräne und Asthma konnte in einer taiwanesischen Studie aus dem Jahr 2016 nachgewiesen werden. Spannend, da ich nicht nur mit Niesanfällen und tränenden Augen auf diverse Pollenarten reagiere, sondern auch mit allergischem Asthma. Wie bereits in einigen meiner vorherigen Texte, komme ich also auch diesmal zu dem Schluss, dass bei mir in puncto Trigger und Vorbelastung einiges zusammenkommt. Und so absurd es klingt, gewissermaßen hilft mir das. Weil mir die Vielzahl der aufeinandertreffenden Auslöser vor Augen führt, dass ich mir meine Migräne nicht selbst zuzuschreiben habe. Klar, ich kann darauf achten, mich an gewittrigen Tagen nicht zu verausgaben und mir vor dem Einsetzen meiner Periode öfter mal eine Auszeit gönnen – aber wenn Wetterfühligkeit, Hormonschwankungen und Allergien aufeinandertreffen, bin ich schlicht und ergreifend machtlos dagegen. Das führt zwar dazu, dass ich meiner Erkrankung in diesen Momenten ein Stück weit ausgeliefert bin und der Migräne lediglich mithilfe von Akutmedikation entgegenwirken kann. Doch die Erkenntnis, viele Trigger nicht beeinflussen zu können, nimmt auch eine Menge Druck von mir. Als Migräne-Patientin bin ich seit über zwei Jahrzehnten daran gewöhnt, nach jeder Attacke mein Verhalten minutiös zu analysieren und nach Fehlern zu suchen, um sie beim nächsten Mal vermeiden zu können. Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich seit etwa 15 Jahren keine unnötigen Fauxpas mehr gefunden. Dennoch fällt es mir oft schwer, mein Schicksal anzunehmen und die Migräne als einen Teil meines Lebens zu akzeptieren. Lange Rede, kurzer Sinn: Unberechenbare Faktoren – wie das Wetter – als solche anzuerkennen, hilft mir dabei, weniger streng mit mir selbst ins Gericht zu gehen. Ich traue mir nämlich vieles zu, aber das Wettermachen gehört definitiv nicht dazu.
Quellen
- https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/kann-ein-wetterumschwung-kopfschmerzen-ausloesen-102.html#:~:text=Temperaturanstieg%20kann%20Kopfschmerz%20auslösen&text=Das%20Ergebnis%20war%3A%20Ein%20Wetterumschwung,sich%20auch%20das%20Risiko%20entsprechend.
- https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/3/16.html
- https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/sommer-feeling-april-gesundheit-pollen-migraene-100.html
- https://www.mdr.de/ratgeber/gesundheit/unwetter-gewitter-migraene-bluthochdruck-102.html#:~:text=Gewitter%20sorgen%20für%20rasche%20Temperaturänderungen,des%20Deutschen%20Wetterdienstes%20(DWD).
- https://www.lungeninformationsdienst.de/aktuelles/news/artikel/migraenepatienten-mit-heuschnupfen-haben-staerkere-kopfschmerzattacken
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