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Junge Frau mit Kopfhörer auf schaut auf die blendenden Lichter der Stadt. Migräne Kolumne Junge Frau mit Kopfhörer auf schaut auf die blendenden Lichter der Stadt. Migräne Kolumne

Folge 13 – Das Licht am Anfang des Migränetunnels

Warum visuelle Reize oft zum Trigger werden

Migräne ist häufig die Antwort auf eine Reizüberflutung im Gehirn, die unter anderem durch Licht, Lärm oder Gerüche ausgelöst werden kann. Leider ist es für Betroffene gar nicht so einfach, die möglichen Trigger rückblickend auseinanderzuhalten und den Übeltäter zu identifizieren. Daher dauert es oft Jahre, Zusammenhänge zu erkennen, um sie infolgedessen besser meiden zu können. Vor allem, wenn es um den Einfluss optischer Reize geht, wird es schwierig. Denn während uns intensive Gerüche oder eine besonders laute Geräuschkulisse oft in Erinnerung bleiben, sind unsere Augen den ganzen Tag über sich ständig verändernden Lichtverhältnissen ausgesetzt. Höchste Zeit, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche davon Migräne auslösen können.

Unterschätzter Migräne Trigger

Manche Migräne-Auslöser sind leicht zu erkennen, weil Ursache und Wirkung auf der Hand liegen. So muss ich zum Beispiel nicht lange rätseln, warum ich mit Migräne aufwache, wenn es am Abend zuvor nicht bei zwei Gläsern Wein geblieben ist – und auch nach einer intensiven Sporteinheit muss ich bloß eins und eins zusammenzählen. Doch es ist nicht immer so offensichtlich, woher die plötzlich eintretende Schmerzattacke rührt. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, als Restaurants und Kneipen geschlossen hatten, das kulturelle Angebot auf Eis lag und nie mehr als fünf Personen in einem Raum sein durften, ist mir in unserer Stadtwohnung bald die Decke auf den Kopf gefallen. Ein Glück, dass das Fachwerkhaus mit Garten, in dem ich aufgewachsen bin, nur eine zweistündige Autofahrt entfernt ist. Also habe ich regelmäßig mein Homeoffice-Equipment und meinen Hund eingepackt, um zu meiner Mutter aufs Land zu flüchten. Als ich mich dort zum dritten Mal in Folge nach meiner Ankunft direkt auf mein Zimmer zurückziehen musste, weil sich eine starke Migräne ankündigte, wurde ich stutzig. Die Wetterverhältnisse waren schließlich immer andere gewesen und auch mein Zyklus befand sich jedes Mal in einer anderen Phase. Es musste also etwas mit der Autofahrt zu tun haben, was ich komisch fand, weil ich im Alltag ja auch oft hinterm Steuer sitze und mir dahingehend noch nie ein Zusammenhang aufgefallen war. Hinzu kam, dass die Kopfschmerzen bloß nach der Anreise auftraten – wenn ich einige Tage später zurück nach Hause fuhr, blieb die Fahrt für mich in der Regel ohne Konsequenzen. Aber dann ging mir im wahrsten Sinne des Wortes ein Licht auf: Es musste mit der Tageszeit zusammenhängen. Bei meiner Ankunft auf dem Dorf war es meist bereits dunkel, weil ich mich in der Regel erst nach der Arbeit auf den Weg machte. Die Rückreise trat ich hingegen immer im Hellen nach dem Frühstück an. Und da fiel es mir wie Schuppen von Augen: Die entgegenkommenden Fernlichter, die reflektierenden Straßenschilder und blinkenden Baustellen in der Dunkelheit waren schuld.

Zwischen visuellen Störungen und Migräne besteht ein enger Zusammenhang. So können Lichteinwirkungen bestehende Schmerzen nicht bloß innerhalb von Sekunden verstärken, sie können diese auch auslösen.

Warum Lichtreize Migräne auslösen

Dass das Licht eine wesentliche Rolle in puncto Migräne spielt, ist allgemein bekannt. Nicht umsonst haben Betroffene während einer Attacke meist das Bedürfnis, sich mithilfe von Jalousien – oder zumindest einer Schlafmaske – in Dunkelheit zu hüllen und alles Helle auszusperren. Der Grund dafür ist, dass rund 80 Prozent aller Migräniker*innen stärker auf äußere Reize reagieren. Und zwar nicht nur während der Schmerzattacke, sondern auch zwischen den Anfällen. Das hat eine Studie des israelischen Wissenschaftlers Rami Burstein an der Harvard University ergeben. In der Evolutionsgeschichte war diese erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Umwelt sicherlich von Vorteil. Wer schneller auf ein Knacken oder reflektierende Augen im Gebüsch reagierte, konnte auch schneller flüchten. Doch gerät diese Reizwahrnehmung aus dem Gleichgewicht, kann sie zur Belastung werden und zu einer neurologischen Erkrankung wie Migräne führen. Die Folge: Eine vorübergehende Photophobie, auch Lichtscheu genannt. Zwischen visuellen Störungen und Migräne besteht daher ein enger Zusammenhang. So können Lichteinwirkungen bestehende Schmerzen nicht bloß innerhalb von Sekunden verstärken, sie können diese auch auslösen. Im Rahmen der erwähnten Studie wurde auch der Einfluss von Licht auf blinde Migräne-Patient*innen untersucht und das Ergebnis war verblüffend: Waren die Sinneszellen der Netzhaut, die zwischen Hell und Dunkel unterscheiden, noch intakt, reagierten die Proband*innen trotz völliger Blindheit genauso lichtempfindlich wie sehende Betroffene. Migräne gilt also nicht umsonst bereits seit über 3000 Jahren als „Augen- und Kopfkrankheit“. Wie genau die Lichtbelastung zu Schmerzattacken führt, ist bisher leider noch nicht ausreichend erforscht. Man geht jedoch davon aus, dass spezielle Rezeptoren auf der Netzhaut Signale auslösen, die die Schmerzwahrnehmung aktivieren. Könnten diese Botenstoffe eines Tages identifiziert werden, wäre es immerhin möglich, die Lichtempfindlichkeit von Betroffenen zu reduzieren und somit auch die Intensität ihrer Schmerzen.

Junge Frau am Steuer des Autos bei Regen und blendenden Lichtern vor ihr. Migräne Kolumne
Junge Frau am Steuer des Autos bei Regen und blendenden Lichtern vor ihr. Migräne Kolumne

Migräne mit Aura und visuellen Störungen

Vor einer Weile lag ich tagsüber im Bett, weil ich mich nicht wohl fühlte und plötzlich passierte etwas Eigenartiges. Draußen schien die Sonne und das Licht fiel gedämpft durch die geblümten Vorhänge herein, deren Muster sich etwa alle zehn Zentimeter wiederholte. Und während ich beobachtete, wie sich der Vorhang im Wind bewegte, lösten sich plötzlich einige der Blumen aus ihrer Reihe und bewegten sich frei auf dem Stoff hin und her. Erschrocken kniff ich die Augen zusammen und versuchte mich zu fokussieren, doch die Blüten tanzten noch einen Moment weiter, bevor plötzlich alles verschwamm und ich nicht mehr scharf sehen konnte. Panik. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Schaute woanders hin und blinzelte gegen das gedämpfte Licht, das mich von jetzt auf gleich blendete. Schließlich kamen auch noch zwei Zickzack-Linien hinzu, die sich langsam von rechts nach links durch mein Sichtfeld bewegten. Hatte ich etwa meine erste Aura? Nach fünf Minuten war der Spuk vorbei und ich war verwirrter denn je, denn ich lebte zu dem Zeitpunkt bereits seit fast 20 Jahren mit Migräne ohne Aura. Da es jedoch bei dem einen Vorfall blieb, verfolgte ich die Ursachensuche nicht weiter. Schließlich war ich weit entfernt von Aura-Symptomen wie denen, die ich von einer betroffenen Arbeitskollegin kannte. Wurde sie im Büro von einer Migräne heimgesucht, erlitt sie einen temporären Sehverlust und erkannte mich nicht mal, wenn ich einen Meter vor ihr stand. Das passte irgendwie nicht mit meinem Erlebnis zusammen. Dann klingelte eines Tages das Telefon und ich wurde gebeten, meinen Mann von der Arbeit abzuholen, da es ihm nicht gut ginge. Als er eine halbe Stunde später von einer Kollegin zum Auto geführt wurde, bekam ich einen Schreck. Er war kreidebleich und berichtete mir, dass er plötzlich ein Flackern wahrgenommen habe und kurz darauf nichts mehr sehen konnte. Ich brachte ihn direkt in die Notaufnahme, denn im Gegensatz zu mir und meiner Kollegin, war er hinsichtlich Migräne ein unbeschriebenes Blatt und wir mussten Schlimmeres, wie etwa einen Schlaganfall, ausschließen. Drei Stunden später verließ er das Krankenhaus mit der Diagnose „Augenmigräne“.

Plötzlich lösten sich einige Blumen aus dem Muster des Vorhangs und tanzten vor meinen Augen hin und her. Dann verschwamm alles und es kamen zwei Zickzack-Linien hinzu, die sich langsam durch mein Sichtfeld bewegten.

Die Augenmigräne

„Hä? Was ist das denn?“, fragte ich irritiert von der Tatsache, dass er keine Kopfschmerzen hatte. Doch im Nachhinein ergab alles einen Sinn. Eine Augenmigräne tritt ohne Vorwarnung auf und beginnt häufig mit einem Flimmern, Lichtblitzen oder gezackten Linien. Aber auch Sichteinschränkungen durch einen Tunnelblick, temporäre Sehblindheit, Doppelbilder und Gesichtsfeldausfälle können auftreten, bevor die Symptome innerhalb von 10 bis 30 Minuten wieder verschwinden. Der Hauptunterschied zu den visuellen Störungen im Rahmen einer Aura ist das Ausbleiben der daran anschließenden Kopfschmerzattacke. Die gute Nachricht ist: So beunruhigend diese Erfahrung auch ist – gefährlich ist sie beiden Fällen nicht. Aber was tun, um den oft stressbedingten Symptomen vorzubeugen? Lichtempfindliche Patient*innen können zum Beispiel darauf achten, dass sie am Arbeitsplatz keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, indem sie ihren Schreibtisch nicht direkt am Fenster platzieren oder zumindest Plissees anbringen. Auch die Umstellung von Neonlicht auf warme Leuchtmittel kann einer (Augen-)Migräne entgegenwirken. Denn Leuchtstoffröhren sind nicht nur extrem hell – häufig flackern sie auch, wodurch sie für Betroffene schnell zur Doppelbelastung werden. Aber wir müssen nicht zwingend in einem Großraumbüro vorm Bildschirm sitzen, um uns ungünstigen Trigger-Kombinationen auszusetzen. Oft reicht im Urlaub schon der Blick auf das funkelnde Meer, auf dessen Oberfläche sich die Sonnenstrahlen brechen, um abends mit Migräne flachzuliegen. Dasselbe gilt für den Stroboskop-Effekt in der Disco oder das flackernde Sonnenlicht, wenn wir eine Allee hinunterfahren. Auch die eingangs erwähnten Nachtfahrten, bei denen wir ständig von entgegenkommenden Fahrzeugen geblendet werden, fallen in diese Kategorie. Tagsüber lassen sich diese Auslöser zumindest mit einer guten Sonnenbrille abfedern. Und solange man nicht selbst am Steuer sitzt: It’s never too dark to be cool.

Quellen

Diana Ringelsiep

Journalistin, Autorin und Migräne-Patientin

Kolumne: #mittwochsistmigräne

Ich lebe seit über 20 Jahren mit Migräne und habe es mir zur Aufgabe gemacht hat, über die neurologische Erkrankung aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Auf dass Betroffene sich weniger einsam und Angehörige weniger hilflos fühlen.

  • Jahrgang 1985
  • Kulturjournalistin, M. A. (2012)
  • Wohnhaft in Essen

www.diana-ringelsiep.de