Folge 8 – Menstruelle Migräne
Wenn sich die Uhr nach dem Schmerz stellen lässt
Migräne hat den Ruf, wie aus dem Nichts über Betroffene hereinzubrechen und sie innerhalb kürzester Zeit interaktionsunfähig zu machen. Wenn es passiert, dominiert der Schmerz mit all seinen Begleiterscheinungen und meist steht die Frage im Raum, welcher Trigger womöglich übersehen wurde und welcher äußere Reiz den Anfall ausgelöst haben könnte. Doch menstruierende Personen kennen noch eine andere Variante. Ein Muster, das sich Monat für Monat wiederholt und eng mit der Periode verknüpft ist. Welche Rolle die Monatsblutung und zyklusbedingte Hormonschwankungen in puncto Kopfschmerzen spielen und welche Gefahren eine hormonelle Prophylaxe mit sich bringen kann, hat unsere Autorin für euch beleuchtet.
„Hast du deine Tage, oder was?“
Eine abschätzige Frage, die ich mir im Laufe meines Lebens schon oft anhören musste. Und zwar immer dann, wenn ich nicht so funktioniere, wie mein Gegenüber es von mir erwartet. Wenn es für andere kompliziert wird, weil ich anderer Meinung bin, Grenzen aufzeige oder weniger leistungsfähig bin – und wehe ich äußere meinen Unmut darüber. Klar, es ist „nur“ ein scherzhafter Spruch, dennoch ist er sexistisch und ich kann ihn schlichtweg nicht mehr hören. Denn er impliziert, dass Menstruierende sich nicht genug zusammenreißen – dass sie wehleidig und zickig sind. Daher stelle ich gerne die Gegenfrage: Warum sollte es einer Person NICHT anzumerken sein, dass sie versucht, ihren Alltag zu meistern, obwohl sie starke Schmerzen hat? Schließlich bekommt jeder Hobby-Fußballer, der mit einer Bänderdehnung zur Arbeit humpelt, einen Schulterklopfer für seine Tapferkeit. John Guillebaud, Professor für reproduktive Gesundheit am University College London, sagte 2016 in einem Artikel, dass die Schmerzen während der Periode mit denen eines Herzinfarktes vergleichbar seien. Die Aussage des Wissenschaftlers sorgte weltweit für Aufsehen. Und obwohl es mich nervte, dass erst ein Mann aussprechen musste, was Frauen bereits seit Jahrhunderten berichten, bin ich froh, dass seitdem endlich darüber gesprochen wird. Die zyklusbedingte Migräne, um die es in dieser Kolumne geht, kommt bei vielen der Belächelten noch on Top. Eine Doppelbelastung, die vielen Betroffenen – in Kombination mit der Regelmäßigkeit – das Leben schwer macht. Umso wichtiger ist es, die Auswirkungen hormoneller Schwankungen sichtbar zu machen. Und zwar nicht bloß für Männer und all jene, die aus unterschiedlichsten Gründen keine Monatsblutung bekommen, sondern auch für die Betroffenen selbst.
Die zyklusbedingte Migräne stellt im Alltag eine Doppelbelastung für viele Menstruierende dar, die neben Unterleibskrämpfen auch unter wiederkehrenden Kopfschmerzen leiden. Umso wichtiger ist es, die Auswirkungen hormoneller Schwankungen sichtbar zu machen.
Hormonelle Achterbahnfahrt
„Auch das noch“, dachte ich früher oft, wenn ich mich während meiner Tage vor Unterleibsschmerzen krümmte und dank der Migräne obendrein nicht konzentrieren konnte. „Was für ein mieses Timing.“ Und obwohl ich meine Symptome bereits (getrennt voneinander) mit verschiedenen Gynäkologinnen und Hausärzten besprochen hatte, dauerte es Jahre, bis ich einen Zusammenhang zwischen meiner Periode und den wiederkehrenden Kopfschmerzen herstellte. Wahrscheinlich war ich lange Zeit zu sehr auf die kolikartigen Krämpfe in meinem Unterbauch fokussiert, die mich bis heute jeden Monat heimsuchen und nur mit Schmerztabletten zu ertragen sind. Denn ich gehöre zu den rund 70 Prozent aller Frauen, die unter einer sogenannten Dysmenorrhö leiden – so lautet der Fachbegriff für starke Menstruationsschmerzen, die keine erkennbare Ursache haben, wie etwa Endometriose. Erschwerend hinzu kam die Tatsache, dass die Kopfschmerzen nicht gleichzeitig mit der Blutung einsetzen, sondern immer zwei bis drei Tage davor, um am ersten Tag der Periode vorübergehend zu verschwinden und gegen Ende noch mal mit voller Wucht zurückzukehren. Erst das regelmäßige Führen eines Kopfschmerztagebuchs hat mir vor einigen Jahren das wiederkehrende Muster vor Augen geführt. Und auf einmal ergab alles einen Sinn: Zum Beispiel die Tatsache, dass mein erster Migräne-Anfall mitten in der Pubertät aufgetreten ist, als meine Hormone gerade – wie bei den meisten Teenies – eine wilde Party feierten. Und auch, dass meine Oma mir seitdem erzählt, dass es bei ihr genauso war und ihre Migräne schlappe 35 Jahre später, also in den Wechseljahren, plötzlich wieder verschwunden ist. (Im Übrigen kein großer Trost, wenn man 16 Jahre alt ist.) Ich begann also, mich mit dem Phänomen der menstruellen Migräne zu beschäftigen und stieß dabei schnell auf Parallelen zu meiner eigenen Leidensgeschichte. Es stellte sich heraus, dass die meisten Betroffenen von Migräneattacken berichten, die vor der Blutung einsetzen, dann abebben und wenige Tage darauf wieder auftreten. Dieser diskontinuierliche Verlauf ist sogar typisch für eine Migräne, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Menstruation steht
Ursachen & Auslöser
Mediziner*innen unterscheiden in dem Zusammenhang zwischen einer menstruellen Migräne und einer menstruationsassoziierten Migräne. Während erstere lediglich parallel zur Regelblutung auftritt (plus/minus zwei Tage), kann letztere auch zu anderen Zeitpunkten im Zyklus vorkommen – beispielsweise zum Eisprung. Hauptverantwortlich dafür scheint der schwankende Östrogenspiegel zu sein. Dieser steigt in der ersten Hälfte des Menstruationszyklus stetig an, bis es kurz vor Einsetzen der Periode zu einem rapiden Abfall des Hormonpegels kommt. Und zwar genau dann, wenn viele Betroffene von Migräneanfällen heimgesucht werden. Zufall? Wohl kaum. Durch die sinkende Östrogenproduktion fällt nämlich auch der Serotoninspiegel, wodurch die Schmerzschwelle sinkt und Kopfschmerzen begünstigt werden. Zudem hat ein Forschungsteam der Charité Berlin im Rahmen einer aktuellen Studie herausgefunden, dass darüber hinaus ein Zusammenhang zwischen den Hormonschwankungen und der Ausschüttung des Entzündungsbotenstoffes CGRP besteht. Einer körpereigenen Substanz, die die Blutgefäße im Gehirn stark erweitert und zu Entzündungsreaktionen führt, die starke Kopfschmerzen auslösen können. Interessant ist, dass Migräne-Probandinnen, die die Pille einnahmen oder die Wechseljahre bereits hinter sich und somit einen konstanten Hormonspiegel hatten, eine ähnliche CGRP-Konzentration aufwiesen wie gesunde Frauen. Das passt zu dem Ergebnis weiterer Studien, aus denen hervorgeht, dass bei fast 70 Prozent der Migränikerinnen eine deutliche Verbesserung oder sogar ein gänzliches Ausbleiben der Migräne während einer Schwangerschaft zu beobachten ist – insbesondere nach dem ersten Drittel. Eine Erfahrung, die auch eine gute Freundin von mir gemacht hat. Zu Beginn ihrer Schwangerschaft rief sie mich an und fragte verzweifelt: „Was soll ich denn jetzt machen, wenn ich Migräne kriege? Ich darf doch fast keine Medikamente mehr nehmen.“ Ich beruhigte sie und versicherte ihr, dass ihr Neurologe mit Sicherheit auch dafür eine Lösung habe. Doch dazu kam es gar nicht, da ihre Kopfschmerzen prompt eine neunmonatige Pause einlegten. Als Ursache für diese phänomenale Verbesserung werden aus medizinischer Sicht mehrere Möglichkeiten in Betracht gezogen. Einerseits gilt der konstante Östrogenspiegel mitsamt seiner Auswirkungen auf andere Botenstoffe als einer der wichtigsten Faktoren. Andererseits ist auch die veränderte Lebensweise während einer Schwangerschaft nicht zu vernachlässigen. Schließlich verzichten werdende Mütter in der Regel auf Nikotin und Alkohol, sie ernähren sich gesünder, gehen früher schlafen und schrauben ihr Arbeitslevel zurück. Allesamt Punkte, die auch Migräniker*innen immer wieder nahegelegt werden.
Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen noch ähnlich häufig von Migräne betroffen. Doch nach der hormonellen Umstellung im Jugendalter leiden Frauen dreimal häufiger an regelmäßigen Migräneattacken als Männer.
Und jetzt?
Kopfschmerzen gelten allgemeinhin als ein typisches „Frauenleiden“ und wenn die Recherche zu diesem Beitrag eins gezeigt hat, dann dass es stimmt. Was jedoch nicht stimmt, ist die Unterstellung der übertriebenen Wehleidigkeit. Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen noch ähnlich häufig von Migräne betroffen. Doch nach der hormonellen Umstellung im Jugendalter leiden Frauen dreimal häufiger an regelmäßigen Migräneattacken als Männer. Kein Wunder, dass uns das Klischee der Kopfschmerzanfälligen vorauseilt und Behandelnde händeringend nach einer Lösung suchen. So wird, um den Östrogen-Schwankungen etwas entgegenzusetzen, zum Beispiel oft zu niedrig dosierten hormonellen Verhütungspräparaten geraten, die ohne „Pillenpause“ durchgenommen werden können. Aufgrund der ausbleibenden Abbruchblutung stehen die Chancen gut, dass so auch die menstruelle Migräne umgangen werden kann. Aber Vorsicht! Auch ich habe mir aus genau diesem Grund eine solche Pille verschreiben lassen und das wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden. Denn worüber ich vorab nicht aufgeklärt wurde: dass das Thromboserisiko vor allem im ersten Jahr der Pilleneinnahme deutlich erhöht ist – auch bei Nicht-Raucherinnen – und dass ich als Migränepatientin obendrein zu einer Risikogruppe zähle. Der Langstreckenflug in die Flitterwochen kam noch als dritter Risikofaktor hinzu. So landete ich wenige Wochen später mit einer thrombosebedingten beidseitigen Lungenembolie auf der Intensivstation und wäre beinahe gestorben. Warum? Weil ich aufgrund meiner zyklusbedingten Migräne so verzweifelt war, dass ich bereit gewesen bin, alles auszuprobieren – ungeachtet der möglichen Gefahren und Nebenwirkungen. Unterm Strich bedeutet das: Ich muss wie viele andere mit den wiederkehrenden Schmerzen leben und beschränke mich im Ernstfall auf eine Akutmedikation, weil mir schlichtweg keine Wahl bleibt. Vielleicht habe ich Glück und die Schmerzen haben nach den Wechseljahren ein Ende, wie bei meiner Oma. Vielleicht aber auch nicht. Bedenkt das, bevor ihr das nächste Mal eine Person mit süffisantem Lächeln fragt, ob sie ihre Tage hat.
Quellen
- Charité, 23.02.2023, Pressemitteilung: „Warum Migräne häufig während der Menstruation auftritt“
- Schmerzklinik Kiel, „Migräne im Leben der Frau“, abgerufen am 10.09.2023
- Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, „Migräne und Hormone“, 2005
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