Genuss

Gönn’ dir was!

Die Fähigkeit zu genießen ist uns nicht angeboren, sondern ist ein wesentlicher Teil unserer Erziehung und Kultur. Wer es lernt, bewusst all seine Sinne einzusetzen, lebt nicht nur gesünder und zufriedener, sondern tut sogar etwas für sein Gehirn und Wohlbefinden.

Experten sind sich einig: Es ist nicht nicht so wichtig, was wir genießen, sondern dass wir  genießen. Denn, wer sich in Genuss übt, hebt nicht nur seine Stimmung, sondern tut etwas für seine physische und psychische Gesundheit. Übrigens, laut Genuss-Studie sind sich 89 Prozent der Frauen und Männer einig: Genuss sollte im Leben eine absolut wichtige Rolle spielen. Doch – gleichzeitig meinen 76 Prozent der Befragten, dass sie nicht ausreichend genießen. Warum diese Diskrepanz zwischen theoretischer Wertschätzung und praktischer Umsetzung? „Möglicherweise wird vom Genuss hierzulande mehr verlangt, als er bieten kann“, schrieb der Gourmet-Autor Thomas Platt einst in seinem Buch „Genussbarometers Deutschland“: „Von der Schokolade wollen heute manche nicht nur gesünder oder schlauer werden, sondern zugleich auch die Alphabetisierung der Kakaobauernkinder vorantreiben. Und Freude an der körperlichen Bewegung soll sowohl die Widerstandskraft gegen Krankheiten erhöhen als auch die persönliche Attraktivität steigern.“

Neuste Ergebnisse der Hirnforschung belegen – Genuss, gleich welcher Art, aktiviert das Lustzentrum und stimuliert jene Regionen, die für unser Wohlbefinden verantwortlich ist. Das bestätigt der Psychologe, Professor Hans Markowitsch von der Uni Bielefeld: „Durch die sinnlichen Erfahrungen vermehren und verbreiten sich die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen, und das Hirnvolumen nimmt zu.“ Dadurch macht sich Zufriedenheit in uns breit.

Die gute Nachricht:

Genussfähigkeit ist erlernbar.

Es genügt die tägliche Übung, zum Beispiel beim Essen sollten wir öfter bewusst in uns „hinein zu schmecken“, auch neue Gerichte und Geschmacksrichtungen ausprobieren, um uns zu sensibilisieren und die Wahrnehmung zu schulen.

Auf diese Weise sammeln wir Erfahrungen und es entsteht eine Art kulinarische Kopfbibliothek: Je aufmerksamer wir mit unserer Nahrung umgehen, je mehr wir uns angewöhnen, genau zu schmecken, zu riechen und all diese Reize zu variieren, desto differenzierter wird unser umfassendes Urteil: „Es ist ein Irrtum zu glauben, das wir unsere Sinne ‘haben’ und sie einfach so funktionieren,“ sagt Ines Heindl, Ernährungsexpertin von der Universität Flensburg. „Was wir haben sind ausgebildete Möglichkeiten, und die verkümmern, wenn wir sie nicht regelmäßig nutzen.“ Das trifft nicht nur für die Nahrungsaufnahme zu, sondern umfasst alle Bereiche unseres Fühlens und Empfindens.

Um in diesem Sinne sinnlicher zu werden ist es hilfreich, sich mit dem Genuss und dem Genießen zu beschäftigen, dafür einmal innezuhalten. Das wird übrigens auch in der therapeutischen Arbeit mit depressiven Patienten eingesetzt werden –  denn Depression und Genussunfähigkeit stehen oft in einem engen Zusammenhang. „Die Beschäftigung mit den eigenen Sinnen ist nicht nur heilsam,“ so Ines Heindl, „sondern zeigt auch, dass man selbst etwas für sein Wohlbefinden tun kann.“ Oder wie Karl Valentin sagte: „Tun hätte ich schon gewollt, dürfen habe ich mich nicht getraut“.

Genussregeln

1. Genuss braucht Zeit:

Stress und Hektik sind lustfeindliche Gegenspieler, wenn es darum geht, den Moment intensiv zu erleben. Der muss gar nicht lang sein, manchmal reichen wenige Minuten aus, um zu schwelgen, zum Beispiel, wenn man beim Warten an der Bushaltestelle das italienische Kochrezept für den Abend gedanklich schon mal „vorkocht“.

2. Genuss muss erlaubt sein:

Wer eine sinnesfeindliche, tabulastige Erziehung erfahren hat, weil Kalorienzählen im Elternhaus wichtiger war als auch mal ausgiebig zu schlemmen, sollte seine Bremsen aufspüren und zu lockern versuchen.

3. Genuss geht nicht nebenbei:

Staubsaugen, Kekse knabbern und dabei Tee trinken – zu einem bewussten Geschmackserlebnis gehört die ungeteilte Aufmerksamkeit auf das jeweilige Lustobjekt.

4. Wissen, was einem gut tut:

Das bedeutet, sich auszuprobieren und seine Vorlieben auch zu verteidigen. Denn über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Der eine mag Feigenkonfitüre auf Schweizer Käse, für den anderen passt beides partout nicht zusammen.

5. Weniger ist mehr:

Man kann gar nicht genug von dem bekommen, was einem so richtig schmeckt. Doch bei einem Zuviel ist Genuss nicht mehr möglich, denn Sättigung schließt Genuss aus.

6. Ohne Erfahrung kein Genuss:

Genießen setzt eine differenzierte Sinneswahrnehmung voraus, die sich durch die Jahre ausbildet. Wer gern Kaffee trinkt, bevorzugt vielleicht eine bestimmte Sorte, mag die reine Arabica-Bohne mehr als irgendeine x-beliebige Mischung.

7. Genuss ist alltäglich:

Es muss nicht immer etwas ganz Außergewöhnliches sein. Ein festliches Essen ist wunderbar, aber nicht die absolute Bedingung für ein Genusserlebnis.

8. Askese kann das Genusserlebnis steigern:

Ab und zu ist eine gewisse Enthaltsamkeit notwendig, um die sinnliche Fähigkeit zu wahren, denn sonst läuft man Gefahr, in die „hedonistische Tretmühle“ zu tappen. Sie besagt: So wie wir uns an das Gute und Schöne gewöhnen, steigen auch unsere Ansprüche. Die Folge – der Genuss schöner Dinge geht in schnödes Konsumieren über. Immerzu Sahnetorte zum Beispiel lässt den Geschmack abstumpfen.

Was Experten zum Thema Genuss sagen

Prof. Dr. Barbara Methfessel von der Pädagogische Hochschule Heidelberg; Ökotrophologin, lehrt unter anderem auch die Bedeutung der Esskultur und des Genusses

Meine spontanen Gedanken zum Begriff Genuss – es sind Bilder, die Genussmomente beinhalten. Es kann das Ansehen einer schönen Blume, ein leckeres Essen oder das Zusammensein mit Freunden. Eines jedoch ist sehr deutlich: der Genuss lebt von seiner Begrenzung, das bedeutet, ich genieße besonders auch das, was nicht selbstverständlich ist.

Beate Handler, Gesundheitspsychologin, setzt die Genusstherapie bei Patienten ein, unter Burnout, Depression oder Hörsturz leiden.

Situationen und Gedanken, die eine tiefe Zufriedenheit auslösen, sind für mich pure Lebensfreude. Es gibt ja täglich so viele schöne Momente: Der Espresso am Morgen nach meiner Laufrunde, besonders die ersten Schlucke sind so intensiv und wohlschmeckend. Beim Kaffeetrinkend könnte ich stundenlang meine beiden Katzen beobachten, wie sie schnurrend um meine Beine streichen. Ich mag das weiche Fell, wenn ich mit den Händen sanft darüber streiche. Und was ich auch sehr genieße, ist die frische Luft draußen, die je nach Tages- und Jahreszeit anders riecht, besonders nach einem Regenguss im Sommer, sauge ich tief den Geruch von warmer Erde und würzigen Feldblüten durch meine Nase ein. Überhaupt mag ich gerne Düfte: ich habe immer eine Auswahl von mehreren Duschbädern zu Hause, die ich je nach Laune und Stimmung verwende.

Martin Amanshauser, Autor des Buches: “Viel Genuss für wenig Geld”

Was ich selbst liebe: Seltsamerweise Karottensaft. Wenn ich den trinke, bekomme ich immer gute Laune. Ich weiß gar nicht mal nicht warum. Und sonst? Ich freue mich, wenn es mir gelingt, nicht bei jedem Modeirrsinn mitzumachen. Das setzt Geld frei für die echten Genüsse. Der nicht-materielle Genuss ist nicht zu unterschätzen: Jenes Gut, was am teuersten ist, ist mittlerweile Zeit. Denn mit ihr kann man letztendlich mehr anfangen als mit Geld.

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