Hochsensibilität

Wenn die Welt zu laut ist

Mia ist 8 Jahre alt und geht in die zweite Klasse einer kleinen Vorstadt-Schule. Ihre Eltern sind beide berufstätig, weshalb sie nach dem Unterricht noch einige Stunden im Hort verbringt. Hier trifft man auf besonders viele Kinder, denn diese Betreuungseinrichtung ist die beliebteste der kleinen Stadt.

Trubel ist Gift bei Hochsensibilität

Mia findet es furchtbar im Hort

Für sie sind es zu viele Menschen, es ist zu laut und es gibt kaum Rückzugsmöglichkeiten. Dabei möchte sie doch einfach nur ihre Ruhe haben. Mia ist durch die Schule und viele andere anspruchsvolle Tätigkeiten häufig gestresst und überfordert. Für sie ist der normale Alltag oftmals eine echte Herausforderung, denn: Mia ist hochsensibel.

Bereits im Kindergarten gab es erste Anzeichen für Mias Hochsensibilität. Ihr fiel es schwer, sich von den Eltern loszulösen und brauchte eine längere Eingewöhnungsphase als andere Kinder. Die ersten Monate waren besonders schlimm, denn sie war unsicher, allein und beobachtete das Geschehen immer mit einer gewissen Distanz. Es hat lange gedauert, bis sie Vertrauen fasste und sich zu anderen, ähnlich ruhigen Kindern, gesellte. Damals wussten ihre Eltern noch nicht, was mit ihr los war, doch nach einem Besuch bei einer Kinderpsychologin war klar, dass Mia ein hochsensibles Kind ist.

Durch die Fülle an Stärke und Wahrnehmung ist Mia häufig gestresst und überfordert.

15 – 20 % der Kinder leiden an Hochsensibilität

Hochsensibilität ist keine psychische Störung, sondern ein vermutlich angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. Sie betrifft schätzungsweise 15 – 20 Prozent der Menschen und wird häufig schon im Kindesalter festgestellt. Doch Hochsensibilität kennt in dem Sinne kein Alter – jeder kann von Geburt an hochsensibel sein.

Der Begriff wurde erstmals in den 90er Jahren von der Psychologin Dr. Elaine Aron verwendet. Im Allgemeinen versteht man unter Sensibilität die Fähigkeit, Reize zu empfangen und sie anschließend zu verarbeiten, bei hochsensiblen Kindern geschieht dies viel intensiver und die Reize wirken sich stärker auf sie aus als auf andere. Dies geht in der Regel mit einer gesteigerten Sinneswahrnehmung einher, doch nicht jeder Sinn muss gleich stark ausgeprägt sein.

Kleine Pausen sind wichtig!

Insbesondere hochsensible Kinder brauchen für Geräusche, Gerüche oder visuelle Eindrücke ausreichend Zeit, sie zu verarbeiten. Die Informationen müssen von ihnen gefiltert, geordnet und auch gewichtet werden, denn hochsensible Kinder vollbringen andere Denk- und Anpassungsleistungen als ein Kind, das normalsensibel ist. Sie müssen wichtige und unwichtige Informationen unterscheiden und das ununterbrochen, denn ihre Antennen sind ständig auf Empfang. So fühlt sich ein hochsensibles Kind durch die vielschichtigen Wahrnehmungen und Gefühlswelten schnell überreizt und überfordert. Somit verwundert es nicht, wenn das Kind schnell aufbraust, zu weinen beginnt, in neuen Situationen zurückhaltend ist und eine längere Zeit braucht, um mit fremden Menschen warm zu werden. Kleine Auszeiten und Pausen sowie feste Strukturen im Alltag sind deshalb enorm wichtig. So kann Reizüberflutung, Überforderung und auch Erschöpfung entgegengewirkt werden.

Um den chaotischen Schul- und Ganztagsalltag zu ordnen, bedarf es feste Strukturen.

Hochsensibilität kann viele Schattenseiten haben.

Die Mehrzeit, die hochsensible Kinder zum Verarbeiten von Reizen brauchen, kann schnell zu einer Fehleinschätzung ihrer Fähigkeiten führen. Bei Erwachsenen wird Bedächtigkeit als Stärke gesehen, bei Kindern führt sie häufig zu der Annahme, die Kinder seien weniger intelligent als Gleichaltrige oder sie werden als bockig, unbelehrbar und als Träumer abgestempelt. Um dein Kind in jeder Lebenslage zu unterstützen, ist es wichtig, dass ihr als Eltern als verständnis- und liebevolle Begleiter fungieren. Richte den Blick stets auf die Stärken deines Kindes und versuche, diese mit Geduld und Anteilnahme zu fördern. Hochsensibilität weist neben den negativen Aspekten nämlich auch viele positive auf.

Positive Faktoren für das spätere leben

Hochsensible Kinder verfügen über eine ausgeprägte Fürsorglichkeit und Empathie und können die Gefühle des Gegenübers gut einschätzen. Sie haben ein Gespür dafür, wie sich andere Menschen fühlen und sind so besonders für soziale, medizinische oder therapeutische Berufe befähigt. Sie sind gute Zuhörer mit einem ausgeprägten Einfühlungsvermögen.

Darüber hinaus gelten Hochsensible als besonders kreativ. Man kann sich also durchaus die positiven Faktoren der Hochsensibilität für das spätere Leben zu Nutze machen.

Kinder sollen sein wie sie sind.

Mia und ihre Eltern besuchen weiterhin eine Kinderpsychologin und schaffen es immer besser auf Mias Hochsensibilität Rücksicht zu nehmen. Sie haben Mia aus dem lauten, überfüllten Hort genommen und zu einer Tagesmutter geschickt, bei der nur zwei andere Kinder betreut werden. So bekommt Mia ihre Rückzugsmöglichkeiten und Pausen, wenn sie sie braucht. Denn Mias Eltern wissen:

Jeder Mensch ist gut so wie er ist. Warum sollten also Kinder nicht auch sein dürfen, wie sie sind?

Ist dein Kind hochsensibel?

Wenn mehr als 13 der folgenden Merkmale auf dein Kind zutreffen, gehört es laut der Psychologin Elaine Aron wahrscheinlich zu den hochsensiblen Kindern.

  • Dein Kind hat einen klugen Sinn für Humor.
  • Dein Kind stellt tiefgründige Fragen, die nachdenklich stimmen.
  • Dein Kind hat für sein Alter einen ungewöhnlich gehobenen Wortschatz.
  • Dein Kind erschrickt leicht.
  • Dein Kind hat eine empfindliche Haut, verträgt keine kratzenden Stoffe, keine Nähte oder Etiketten.
  • Dein Kind scheint sehr einfühlsam zu sein.
  • Dein Kind bemerkt, wenn andere unglücklich sind.
  • Dein Kind mag keine Überraschungen.
  • Dein Kind hat ein intensives Gefühlsleben.
  • Dein Kind ist geruchsempfindlich, sogar bei sehr schwachen Gerüchen.
  • Dein Kind profitiert beim Lernen eher durch sanfte Belehrung als harte Strafe.
  • Dein Kind hat Mühe mit großen Veränderungen.
  • Dein Kind bevorzugt leise Spiele.
  • Dein Kind ist sehr schmerzempfindlich.
  • Dein Kind scheint Ihre Gedanken lesen zu können.
  • Dein Kind stellt viele Fragen.
  • Dein Kind kann nach einem aufregenden Tag schlecht einschlafen.
  • Dein Kind findet nasse oder schmutzige Kleidung unangenehm.
  • Dein Kind ist lärmempfindlich.
  • Dein Kind ist ein Perfektionist.
  • Dein Kind denkt über mögliche Gefahren nach, bevor es ein Risiko eingeht.
  • Dein Kind erzielt die beste Leistung, wenn keine Fremden dabei sind.
  • Dein Kind registriert Details (Veränderungen in der Einrichtung oder im Erscheinungsbild eines Menschen usw.)

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