Trans*Kinder

Auf dem Weg zum Ich

Schätzungen zufolge sind etwa fünf von 100.000 Kindern transident, fühlen sich also nicht ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig. Der unsensible Umgang mit dem Thema ist gerade in der Schule keine Seltenheit. Für die betroffenen Kinder oftmal keine einfache Situation.

Wenn Leo als Lena geboren wurde

Transidentität ist ein Thema, das Eltern zunächst verwirrt und erschreckt. Wenn das eigene Kind auf einer geschlechtlichen Identität besteht, die dem offensichtlich Körperlichen widerspricht, löst das bei vielen Ängste, Wut oder Unsicherheit aus. Doch der Unsicherheit der Eltern und Bezugspersonen steht eine zweifelsfreie Sicherheit der trans*Kinder gegenüber. Sie wissen, wer sie sind. Diese Sicherheit müssen Eltern und Umwelt ernst nehmen. Nur so können sie ihrem Kind ein glückliches und gesundes Leben ermöglichen.

Wenn die Phase keine Phase ist

Paul lässt sich einen Zopf flechten, Anna schminkt sich einen Bart. Das Spiel mit Geschlechterrollen ist normaler Bestandteil des Heranwachsens. Doch was, wenn es kein Spiel ist? Wenn mein Kind mit zunehmender Vehemenz darauf besteht, ein anderes als das bei Geburt zugewiesene Geschlecht zu haben? Die erste Begegnung mit der Transidentität ihres Kindes verläuft für die meisten betroffenen Eltern ähnlich. Selbst wenn sie verständnisvoll und gelassen mit dem »Mädchenspiel« ihres Sohnes oder dem »Jungentick« ihrer Tochter umgehen, so rechnen sie insgeheim doch damit, dass sich diese Phase irgendwann legt. Bei einem Transkind wird dies jedoch nie geschehen. Sie durchlaufen keine Phase, sie zeigen ihre wahre Identität. Transidentität zeigt sich in sehr vielen Fällen bereits in frühen Jahren, oftmals im Alter von zwei bis fünf. Die geschlechtliche Identität ist zu diesem Zeitpunkt bereits voll manifestiert. Es gibt kein »zurück« ins andere Geschlecht, denn das trans*Mädchen oder der trans*Junge waren niemals jemand anders.

“Wenn Kinder in ihren eigenen kindlichen Worten wiederholt zum Ausdruck bringen, dass sie sich einem anderen als dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen, dann sollte man aufmerksam werden.”

Die Anzeichen ernst nehmen

Kinder kennen keine Zwänge

Kinder wollen einfach so sein, wie sie sind. Es kann sein, dass sie lieber die Kleidung des anderen Geschlechts tragen möchten. Oft engagieren sie sich besonders stark in Spielen und Aktionen, die eigentlich mit dem anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden. Das allein muss noch nicht auf eine Geschlechtsdysphorie hindeuten. Auch andere Kinder stellen unsere allzu einfachen Vorstellungen von Junge und Mädchen infrage.

Kinder wissen, wer sie sind

Trans*Kinder werden jedoch zumeist stärker darauf bestehen, tatsächlich zum anderen Geschlecht zu gehören. Sie beginnen, auf das zunehmende Gefühl der Unstimmigkeit in ihrem Leben zu reagieren. Möglicherweise reden sie von der Fee, die ihnen nachts den Pippimann wegzaubern wird. Oder sie fragen ihre Eltern, wann ihre Scheide verschwindet.

Manche hoffen, irgendwann in ihrem empfundenen Geschlecht aufzuwachen oder bestehen auf einem für sie passenden Vornamen. Erfahrungsberichte von Eltern schildern Fälle, in denen sich ein Trans*Mädchen mit dem Puppenmesser versuchte, den Penis abzuschneiden.

Zusammen – Das ist der Schlüssel!

Zuspruch und Akzeptanz der Eltern ist entscheidend

Vielen Eltern wird die wahre Natur ihres Kindes leider erst dann bewusst, wenn ihr Kind Anzeichen von seelischem Leid zeigt. Tiefe, anhaltende Traurigkeit, ein negatives Verhältnis zu den eigenen Genitalien, Selbsthass oder eine Tendenz, sich selbst Schmerz zuzufügen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen Eltern handeln, um ihr Kind vor nachhaltigem Schaden zu bewahren. Die Akzeptanz durch die eigenen Eltern ist besonders wichtig. Kinder brauchen Verbündete, sie brauchen Liebe und Anerkennung. Elterliche Sicherheit und Zuspruch sind sehr wichtige Schutzräume für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Eltern sollten ihr Kind ernst nehmen und liebevoll und offen mit der Situation umgehen. Wer in seinem unmittelbaren Umfeld geliebt und angenommen wird, der entwickelt leichter ein natürliches Selbstbewusstsein und eine gesunde, glückliche Psyche.

Der Einschnitt in der Pubertät

Die körperlichen Veränderungen der Pubertät sind für jedes Kind der entscheidende Einschnitt auf dem Weg zum Erwachsenen. Für trans*Kinder ist jedoch bereits die Vorstellung von diesem Prozess mit psychischem Stress verbunden. Ihr Körper entwickelt sich in der Pubertät in eine für sie falsche Richtung. Sein Körper wird zur Frau, obwohl er ein trans*Junge ist; einem trans*Mädchen wächst plötzlich ein Bart und der Stimmbruch setzt ein. In dieser entscheidenden Phase kann eine psychologische und medizinische Begleitung besonders sinnvoll sein. Gemeinsam mit dem Kind müssen grundlegende Entscheidungen getroffen werden. Immer mehr Psychologinnen und Psychologen raten dringend, hierbei auf die Äußerungen und Bedürfnisse der trans*Kinder einzugehen.

Die eigenen Ängste bewältigen

Wer erkennt, dass das eigene Kind ein trans*Mädchen ist, der verliert mit dieser Erkenntnis auch einen Sohn. Und ein trans*Junge lässt für Eltern alle Ideen, Wünsche und Vorstellungen zur eigenen Tochter platzen. Es ist verständlich und menschlich, wenn Eltern auf diesen unerwarteten Einschnitt zunächst mit Ängsten, Verzweiflung oder sogar Wut reagieren. Hinzu kommt oft eine Angst vor Mobbing und Ausgrenzung des eigenen Kindes. Was werden Verwandte, Omas, Opas, Freunde sagen? Wie reagiere ich, wenn man mir vorwirft, mein Kind nicht »richtig erzogen zu haben«? Wie soll ich meinem Kind Kraft und Zuversicht geben, wenn ich selbst mit Ängsten und Sorgen kämpfe? Der Umgang mit der Transidentität eines eigenen Kindes ist für viele Eltern zu Beginn eine Herausforderung und ein Lernprozess. Austausch mit Gleichgesinnten oder psychologische Hilfe können Eltern hierbei unterstützen.

Medizinische Eingriffe

Zunächst kann die Pubertät durch eine Hormonbehandlung angehalten werden. Dieser Schritt ist durch ein Absetzen der Präparate umkehrbar; so kann Zeit gewonnen werden, die vielleicht nötig ist, um sich wirklich sicher zu sein. Mit der Einnahme gegengeschlechtlicher Hormone leitet man eine irreversible körperliche Veränderung ein. Doch auch hier gibt es Möglichkeiten, den Prozess abzubrechen, je nachdem, wann damit begonnen wurde. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Transmenschen sich nur in äußerst seltenen Fällen für eine Umkehr entscheiden. Ihre Identität und ihre Entscheidung stehen für die meisten seit frühesten Kindertagen unumstößlich fest. Als letzter Schritt bleibt für viele irgendwann eine operative Geschlechtsangleichung. Nicht alle Transmenschen entschließen sich dazu, denn dieser Eingriff ist, wie auch jede andere Operation, nicht gänzlich ohne Risiken. Für manche ist er aber ein letzter und wichtiger Schritt, um endgültig im eigenen Geschlecht anzukommen.

Hilfe von geschulten Psychologen

Eltern von trans*Kindern sind oft von der Sicherheit und Dringlichkeit überrascht, mit denen ihre Kinder ohne jeden Zweifel darauf bestehen, zum anderen Geschlecht zu gehören. Wenn dies über einen Zeitraum von Monaten unverändert anhält, sollten sich Eltern mit einem geschulten Psychologen in Verbindung setzen, sofern ein Leidensdruck beim Kind besteht. Ansonsten ist es für die meisten Eltern hilfreich, sich mit anderen Eltern in Verbindung zu setzen und auszutauschen. Eine professionelle Hilfe bei Geschlechtsdysphorie besteht jedoch nicht darin, ein Kind in irgendeiner Weise umzustimmen und dazu zu bringen, ihr anatomisches Geschlecht als »richtig« zu akzeptieren. Dies ist nicht möglich und nicht im Sinne des Kindeswohls. Falls nötig und gewünscht, dient eine psychologische Begleitung dazu, Kind und Eltern beim Anpassungsprozess zu helfen.

Gemeinsam Lösungen finden

Transidentität ist ein Thema, das Eltern zunächst verwirrt und erschreckt. Wenn das eigene Kind auf einer geschlechtlichen Identität besteht, die dem offensichtlich Körperlichen widerspricht, löst das bei vielen Ängste, Wut oder Unsicherheit aus.
Doch der Unsicherheit der Eltern und Bezugspersonen steht eine zweifelsfreie Sicherheit der Trans*Kinder gegenüber. Sie wissen, wer sie sind. Diese Sicherheit müssen Eltern und Umwelt ernst nehmen. Nur so können sie ihrem Kind ein glückliches und gesundes Leben ermöglichen.

Das soziale Umfeld einbinden

Auch die Kommunikation mit Schulen, Bekannten, Eltern und Behörden kostet Kraft. Die Situation des eigenen Kindes muss erklärt werden, immer wieder müssen Verständnis und Offenheit durch geduldige Gespräche hergestellt werden. Namensänderung, die Frage nach Schultoilette, Schwimm- und Sportunterricht. All diese Punkte sind mit Aufwand und Aufklärung verbunden.

Einiges hat sich getan in den letzten Jahren. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist gewachsen, zahlreiche pädagogische Richtlinien für Kitas und Schulen berücksichtigen in vorbildlicher Weise die Rechte und Bedürfnisse von Trans*Kindern. Doch auch Richtlinien müssen umgesetzt werden und nicht immer entspricht die Realität den Vorgaben. Viele Eltern von Trans*Kindern brauchen Kraft und Geduld.

Austausch mit anderen

Interessensverbände, Vereine und Selbsthilfegruppen sind hierbei eine große Hilfe. Sie ermöglichen Eltern und Trans*Kindern Austausch über Themen, die sie beschäftigen; geben Tipps und Hilfestellungen beim Umgang mit Behörden und den alltäglichen Herausforderungen.

Das Interview zum Thema Trans*Kinder

Karoline Haufe

ist 1. Vorstandsvorsitzende von einem Verein für Eltern und Familienangehörige von minderjährigen Transkindern. TRAKINE tritt für die Rechte und Bedürfnisse von Trans*Kindern ein und bietet Unterstützung und Austausch. Zu den Aktivitäten gehören die Vermittlung von Kontakten und Elternberatungen.

“Eine negative Reaktion von anderen Menschen ist oft das Resultat von Unwissenheit.

Es gibt Kinder, die keine anderen Trans*Kinder kennen, oder die vielleicht gar keine Ahnung haben, dass es Kinder wie sie gibt. Für sie ist es eine tolle Erfahrung sich kennenzulernen und auszutauschen. Aber auch Eltern können oft das erste Mal wirklich mit anderen Eltern über die Themen und Erfahrungen sprechen, die sie gerade beschäftigen…”

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