Ernst schauende Frau, toxische Beziehung Ernst schauende Frau, toxische Beziehung

Toxische Beziehung

Zwei im Gespräch

„Die ersten zehn Ehejahre waren die schlimmsten meines Lebens. Ich würde jedoch nicht sagen, dass er sich verändert hat – er hat lediglich seine Maske fallen lassen.“

Triggerwarnung

Das folgende Interview beinhaltet detaillierte Schilderungen seelischer und körperlicher Gewalt innerhalb einer Ehe, aus der sich das Opfer erst nach 22 Jahren befreien konnte.

Wenn die Beziehung zur Gefahr wird

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter und betrifft sämtliche Altersgruppen, Nationalitäten, Religionen sowie Einkommens- und Bildungsschichten. Ute M. hat sich im vergangenen Sommer nach 22 Jahren aus einer toxischen Lebensgemeinschaft befreit. Über zwei Jahrzehnte ist sie in den eigenen vier Wänden psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen.  Im Interview spricht sie darüber, wie sie Stück für Stück die Kontrolle verlor und von ihrem Partner beleidigt, gedemütigt und eingeschüchtert wurde – bis sie ihren ganzen Mut zusammennahm und zur Polizei ging.

(Die Namen wurden von der Redaktion geändert.)

Zwei im Gespräch:

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Ute M.

Ute ist echt! Aufgrund des laufenden Verfahrens haben wir in Absprache mit ihr darauf verzichtet, die richtigen Namen zu veröffentlichen. Gleiches gilt für Fotos.

Ihr habt sicher Verständnis dafür. Wir sind dankbar, dass Sie mit Diana so offen gesprochen hat, möchten durch dieses Interview aber auch kein Risiko für sie darstellen.

Diana Ringelsiep

Die Journalistin und Autorin wurde 1985 in Bochum geboren. Nach ihrem Kulturjournalismus-Studium an der Universität der Künste in Berlin, war sie zunächst in verschiedenen Redaktionen tätig.

Später verschlug es sie zurück ins Ruhrgebiet, wo sie seit 2018 als freiberufliche Publizistin arbeitet und sich für Frauenrechte engagiert.

Du hast dich im vergangenen Sommer aus einer toxischen Beziehung befreit.

Wie geht es dir heute?

Nicht gut. Ich bin immer noch dabei, die Kontrolle über mein Leben zurückzugewinnen. Unser gemeinsamer Aktenschrank war beispielsweise immer abgeschlossen. Dementsprechend viel Papierkram habe ich nun zu erledigen. Ich muss mich zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Behörden und Versicherungen auseinandersetzen – und ich bin entsetzt, an wie viele Grenzen ich dabei als Frau stoße, weil ich die Unterschrift meines Ehepartners benötige. Ich war 22 Jahre mit einem Mann verheiratet, der mich von diesen Strukturen isoliert und alles im Alleingang erledigt hat. Ich hatte keinen Einfluss auf diese Dinge, weshalb ich mich oft hilflos und schwach gefühlt habe. Inzwischen ist dieses Gefühl einer unfassbaren Wut gewichen. Manchmal erkenne ich mich selbst nicht wieder. Ich bin es leid, vom guten Willen meines Gegenübers abhängig zu sein.

Erzähle mir von dem Mann, in den du dich einst verliebt hast.

Wir haben uns 1998 kennenlernt. Drei Jahre zuvor hatte ich mich mit einem Friseurgeschäft selbstständig gemacht und mein Berufsleben stand an erster Stelle für mich. Ich nahm an zahlreichen Meisterschaften und Seminaren teil, außerdem war ich Aktrice für L’Oréal. Dennoch gab es die Sehnsucht nach einem tollen Mann in meinem Leben. Ich wünschte mir einen verlässlichen Partner zum Anlehnen, einen Seelenverwandten. Doch aufgrund meines Arbeitspensums war es nicht leicht für mich, jemanden kennenzulernen.

Eines Tages fuhr Thomas seinen Chef zu einem Termin in meinem Salon und nahm selbst im Wartebereich Platz. Ich bemerkte ihn nicht, da ich beschäftigt war, doch meine Mitarbeiterin erzählte mir später, dass ich der Begleitung ihres Kunden ins Auge gefallen sei. Kurz darauf verabredeten wir uns zu einem Blind Date in einer Disco. Es war mein Geburtstag und ich war total aufgeregt.

Als wir den Club erreichten, schlug mir das Herz bis zum Hals, denn im Gegensatz zu ihm wusste ich ja nicht, wie er aussieht. Ich fragte jeden Mann, der mich anlächelte, ob er Thomas sei. Doch er war nicht dabei und schließlich ging ich alleine und niedergeschlagen nach Hause. Ein paar Tage später rief er mich an und es stellte sich heraus, dass er dort gewesen war. Er hatte mich in der Disco beobachtet und sich nicht zu erkennen gegeben, weil es ihm nicht gefiel, dass ich so oft angesprochen wurde und nett zu diesen Männern war – dabei bin ich ja bloß auf der Suche nach ihm gewesen.

Wie ging es dann weiter?

Rückblickend hätte mir dieser seltsame Start bereits zu denken geben müssen. Aber er hatte eine sehr schöne Stimme am Telefon und mein Interesse war geweckt, also verabredeten wir uns noch einmal. Als ich ihn dann traf, war ich hin und weg. Er war sehr attraktiv – groß und breitschultrig, mit grau meliertem Haar. Und auch darüber hinaus gefiel er mir sehr gut. Thomas war ein sehr zurückhaltender, aber tatkräftiger Mann. Er konnte gut kochen und war handwerklich begabt.

Ich fühlte mich rundum wohl in seiner Nähe und genoss es, dass da endlich jemand war, der mir Dinge abnahm und sagte: „Lass, ich mach das für dich.“ Von da an verbrachten wir jeden Abend miteinander und ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn. Bereits nach drei Monaten machte ich ihm einen Heiratsantrag.

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Hat es rückblickend erste Momente gegeben, in denen er bereits seine manipulative Seite durchblicken liess?

Wie die meisten Paare, haben auch wir uns zu Beginn häufig über unsere Vergangenheit unterhalten. Er erzählte mir von seiner Exfrau und dass sie ihn übers Ohr gehauen habe. Heute bezweifle ich die Geschichte, weil ich glaube, dass er mich lediglich mit seiner Verletzlichkeit ködern wollte.

Ich selbst blickte im Gegensatz zu ihm nur auf zwei feste Beziehungen zurück. Meine partnerschaftliche Vergangenheit war eher von losen Bekanntschaften geprägt, da in meinem Leben der Beruf im Mittelpunkt stand. Das gefiel Thomas nicht. Er ließ mich sein ablehnendes Verhalten spüren und warf mir vor, leichtlebig zu sein. Zudem unterstellte er mir oft Hintergedanken, wenn ich mich hübsch machte, als hätte ich heimliche Pläne.

Wie hat dein Umfeld damals auf Thomas reagiert?

Mein Umfeld war wacher als ich. Mein Vater sagte damals zu mir: „Kind, lauf! Mit dem stimmt was nicht.“ Aber ich wollte das nicht hören, schließlich hatte ich endlich den perfekten Mann gefunden. Ich hatte einen anderen Blick auf die Dinge und wollte unbedingt, dass es funktioniert. Es gibt ein paar Situationen, die mir in Erinnerung geblieben sind. Zum Beispiel fühlten sich damals verschiedene Leute, die sich untereinander nicht kannten, am Telefon abgehört. Sie sprachen mich darauf an und machten mich auf das Knacken in der Leitung aufmerksam. Aber für mich war das unvorstellbar, wieso sollte mein Partner so etwas tun?

Etwa zu dieser Zeit – im ersten Jahr unserer Beziehung – begann er auch, mich telefonisch zu stalken. Er rief ständig bei mir im Laden oder auf meinem Handy an, um nachzuhalten, wo ich gerade war und was ich machte. Zudem fand ich überall kleine Briefchen, in denen er mir seine Liebe gestand. Im Februar 1999 haben wir dann geheiratet, danach änderte sich die Lage schlagartig.

Was ist nach der Hochzeit passiert?

Ich bin gewollt schwanger geworden und unsere Beziehung begann, weiter abzukühlen. Infolgedessen zog ich mich zurück und wollte nicht mehr mit ihm schlafen. Er hinterfragte das nicht, stalkte mich jedoch nach wie vor am Telefon, sobald ich das Haus verließ. Ich fühlte mich damals zunehmend unwohl in seiner Gegenwart. Anstatt meinen Eltern davon zu berichteten, übernachtete ich während der Schwangerschaft häufig im Auto vor ihrer Wohnung. Ich weiß nicht, warum ich nicht geklingelt und mich in Sicherheit gebracht habe. Wahrscheinlich habe ich damals noch daran geglaubt, dass es sich bloß um eine Phase handelt, die auch wieder vorbeigeht.

Kurz darauf ist die Situation dann einmal richtig eskaliert. Thomas hatte mich mal wieder gestalkt und es kam zum Streit. Als ich schließlich wegrannte, bekam er meinen Schal zu fassen und würgte mich damit. Das war das erste und einzige Mal, dass er mich körperlich angegriffen hat. Als er an jenem Tag die Wohnung verließ, habe ich die Polizei angerufen. Doch der Beamte verwies mich lediglich an die Telefonseelsorge und schickte niemanden zu mir raus.

Nach diesem Vorfall gingen die Asthmaanfälle los. Mit zugeschnürter Kehle lag ich auf dem Boden und rang nach Luft, während Thomas lachend über mir stand und mich fragte, was ich mit dem „Affentheater“ bezwecken wolle. Ich habe kein Asthma, die Auslöser müssen psychischen Ursprungs gewesen sein. Aber ich habe in dem Moment keine Luft bekommen und die einzige Person, die mir hätte helfen können, hat mich nicht ernst genommen.

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Inwiefern hat die Geburt eures Sohnes euren Beziehungsalltag verändert?

Unser Kind kam mit einem schweren Herzfehler und Entwicklungsverzögerungen zur Welt. In den ersten Monaten lag es auf Leben und Tod im Krankenhaus. Dementsprechend befanden wir uns damals in einem absoluten Ausnahmezustand. Im ersten Jahr ging es unserem Sohn sehr schlecht. Ich habe meine Belange komplett hintenangestellt, mein Mann war mit der neuen Familiensituation schlichtweg überfordert.

Vor allem, als wir uns nach etwa zwei Jahren langsam der Behinderung unseres Sohnes bewusst wurden, denn bis dahin waren wir von einem gesunden Kind ausgegangen, das lediglich einen schwierigen Start gehabt hatte.

Da ich inzwischen die Alleinverdienerin war, übernahm mein Mann die Buchhaltung meines Geschäftes, was mich zwar entlastete, rückblickend jedoch der Anfang meines Kontrollverlustes war. Fortan funktionierte ich nur noch. Morgens machte ich das Kind fertig und brachte es zur Kita.

Danach stand ich den ganzen Tag im Laden und wenn ich abends nach Hause kam, habe ich unseren Sohn gefüttert, gebadet und ins Bett gebracht, wo ich ihm Geschichten vorgelesen und mit ihm geschmust habe, bis wir beide eingeschlafen sind. An den Wochenenden war ich mit dem Kind alleine, während mein Mann in die Sauna und zum Sport ging.

Welche Formen psychischer Gewalt sind dir im Laufe deiner Ehe sonst noch widerfahren und welche Auswirkungen hatten diese Erfahrungen auf deinen Alltag?

Wir haben zwar nie einen großen Bekanntenkreis gehabt, aber wenn wir mit anderen Leuten ins Gespräch gekommen sind, hat Thomas mich nie ausreden lassen. Er hat mich ständig unterbrochen und korrigiert, um mich vor anderen bloßzustellen. Mein netter Kosename war „die Bestusste“, die anderen möchte ich hier nicht wiederholen.

Durch seine intelligente und manipulative Art konnte er den Leuten alles erzählen, ohne hinterfragt zu werden. Wenn ich nicht dabei gewesen bin, hat er beispielsweise gerne so getan, als sei der Friseurladen sein Geschäft und ich seine Angestellte. Er verkaufte mich als sein Anhängsel und irgendwann habe ich mich auch so gefühlt. Hinter verschlossenen Türen kamen weitere Demütigungen hinzu: „Wer bist du überhaupt?“, stachelte er mich an. „Ohne mich bist du ein Nichts! Und dir wird niemals jemand glauben.“

Zu Beginn hast du dich als selbstbewusste Frau beschrieben. Welche Veränderungen hast du mit der Zeit an dir selbst wahrgenommen?

Ich war sehr verunsichert und habe mich selbst ständig hinterfragt. Die Grenzen zwischen Richtig und Falsch sind zu einer Grauzone verschwommen. Die ständigen Konfrontationen versuchte ich zu umgehen, indem ich auf Zehenspitzen durch mein Leben gegangen bin. Ich habe zum Beispiel immer auf der Couch oder im Kinderbett geschlafen – und dabei spreche ich nicht von einzelnen Abenden, sondern von Jahren beziehungsweise Jahrzehnten.

Auf diese Weise habe ich mich in Deckung gebracht und er hat nicht einmal gefragt, warum ich nicht ins Bett komme. Diese Vermeidung von Berührungspunkten, um mein Kind und mich aus der Schusslinie zu bringen, ging irgendwann so weit, dass ich Zuhause nicht mehr gesprochen habe. Denn er schaffte es, die belanglosesten Äußerungen umzudrehen und zu ungeahnten Dimensionen aufzublasen.

„Wenn du aufmuckst und gehst, nehme ich das Kind und fahr es tot. Und dann ziehe ich dich aus bis auf die Unterhose – bis alles mir gehört.“ Es waren immer dieselben Sätze. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch keinen Einblick mehr in meine Unterlagen und Bücher. Er hatte mich ökonomisch komplett isoliert. Ich traute mich nicht mal mehr, Geld aus der gemeinsamen Kasse zu nehmen, die ich als Alleinverdienerin füllte. Make-up, Kleidung und Weihnachtsgeschenke kaufte ich nur noch von meinem persönlichen Trinkgeld.

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Hat es auch schöne Momente gegeben, die dich hoffen ließen, dass sich doch noch alles zum Guten wendet?

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es keine schönen Momente mehr in meinem Leben – zumindest, was meinen Mann betrifft. Wenn mein Sohn einen Entwicklungssprung gemacht hat, war das immer das Größte für mich. Ansonsten beschränkte sich alles Positive auf die Wochenenden, wenn Thomas nicht da war. Sobald er die Wohnung verließ, habe ich aufgeatmet.

Er wäre damals gerne in eine Wohnung mit Garten umgezogen, doch ich habe unsere Altbauwohnung geliebt und mich geweigert, dort auszuziehen. Interessanterweise hat er das akzeptiert und sich stattdessen einen Schrebergarten angeschafft. Ich habe den Garten gestaltet, während er das kleine Steinhäuschen umbaute, das aussah, wie ein englisches Cottage. Der Garten wurde zu einem wichtigen Rückzugsort für mich. Einerseits konnte ich ihm dort aus dem Weg gehen, andererseits war die Arbeit eine willkommene Ablenkung für mich, die mir über vieles hinweggeholfen hat.

Wann hast du angefangen, über eine Trennung nachzudenken?

Die ersten zehn Ehejahre waren die schlimmsten meines Lebens. Unmittelbar nach der Hochzeit legte er ein immer aggressiveres Verhalten an den Tag und die Stimmung veränderte sich grundlegend. Ich würde jedoch nicht sagen, dass er sich verändert hat – er hat lediglich seine Maske fallen lassen. Oft ging es mit alltäglichen Konflikten los, die komplett ausuferten.

Er hat zum Beispiel kontrolliert, wie ich die Spülmaschine einräume und wenn ihm daran etwas nicht passte, drehte er durch und schrie mich an. Auf diese Weise hat er Druck abgebaut und sich ein positives Gefühl verschafft. Für mich war das die Hölle. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Wenn ich meine Silberhochzeit noch erleben muss, bring ich mich um.“ Etwa zur selben Zeit habe ich angefangen, mich zu fragen, wie ich da rauskomme. Kinderlos wäre es bestimmt einfacher gewesen und schneller gegangen. Doch ich musste ja nicht nur mich, sondern auch mein hilfsbedürftiges Kind in Sicherheit bringen. Ein solcher Schritt muss sorgfältig geplant werden, ohne dass der andere etwas davon mitbekommt. Aber das ist oft leichter gesagt als getan. Einer der Lieblingssätze meines Mannes war: „In der Ehe gibt es keinen Diebstahl.“ Daher wusste ich, dass er mir im Falle einer Trennung alles nehmen und mich ruinieren würde.

Wie hast du es geschafft, dir deine Handlungsfähigkeit zurückzuerobern?

Die Aufgabe meines Friseurladens war rückblickend ein erster wichtiger Schritt, um ihm Informationen zu entziehen. Mein Geschäft lief bis zum letzten Tag sehr erfolgreich, doch mein Mann wachte über die Zahlen und konnte dort ein- und ausgehen, wie es ihm gefiel. Meine Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis änderte das grundlegend. Plötzlich war ich Teil einer Gemeinschaft, in der er nichts zu suchen hatte. Er verlor somit nicht nur den Einblick in meine Bücher, sondern auch in meine Tagesstruktur – ich hingegen verlor meinen Wertvoll-Status.

Über all die Jahre hatte ich ihn finanziert und ihm sein bequemes Leben ermöglicht. Doch das war nun vorbei, der Ackergaul zog nicht mehr und das machte mich uninteressant für ihn. Mit meiner ersten Anstellung nach der Aufgabe des Ladens war ich nicht sehr glücklich, weil ich das Gefühl hatte, dort ausgebeutet zu werden. Thomas sagte damals zu mir: „Guck mal in den Spiegel und in deinen Personalausweis, du kannst froh sein, dass du in deinem Alter überhaupt noch Arbeit gefunden hast!“ Aber zu dem Zeitpunkt ließ ich mich bereits nicht mehr so unterbuttern. Ich kündigte nach acht Wochen und fing woanders an.

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Kommen wir zum Tag der Trennung. Gab es Einen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte oder war dein Vorhaben geplant?

Es begann mit einem Riesenfehler: Ich vergaß den Geburtstag meines Mannes. Genauer gesagt, hatte er am Freitag, doch ich war fest im Glauben, dass es erst Samstag so weit sei. Also kaufte ich Freitag einen kleinen Kuchen für den nächsten Tag und fuhr nach der Arbeit noch zu einer Freundin, um ihr die Haare zu schneiden. Als ich abends nach Hause kam, verhielt er sich völlig normal und ich legte mich zum Schlafen auf die Couch. Wie immer.

Am nächsten Morgen holte ich den Kuchen aus dem Auto und steckte eine Kerze hinein. Als ich sein Schlafzimmer betrat, war es, als hätte jemand eine Bombe gezündet. Augenblicklich kam Thomas aus dem Bett geschossen und schrie mich an: „Wie kann man nur so blöd sein und den Geburtstag des eigenen Mannes vergessen?!“ Ich habe sofort das Weite gesucht und bin zur Arbeit gefahren. Als ich abends nach Hause kam, herrschte dort eisige Kälte. Am nächsten Morgen ging alles von vorne los.

Da wusste ich: Das muss aufhören, ich geh zur Polizei! Doch das durfte ich mir natürlich nicht anmerken lassen. Also habe ich unseren Sohn geweckt – der inzwischen in einer lebte, aber an den Wochenenden bei uns war – und dann haben wir zum letzten Mal zu dritt gefrühstückt. Anschließend ist Thomas mit dem Fahrrad aufgebrochen und ich habe den Tag mit meinem Sohn verbracht.

Ich bin mit ihm in den Schrebergarten gefahren, um mich von dem Ort zu verabschieden, der mir so viel Kraft gegeben hat. Danach haben wir meine Mutter besucht und ich habe ihr von meinem Vorhaben erzählt. Sie hat mir nicht geglaubt. Aber nach all den Jahren hatte ich Verständnis für ihre Reaktion.

Was ging dir durch den Kopf, als du zur Polizei gefahren bist?

Ich stand vor der Polizeiwache und habe eine Zigarette geraucht. Meine größte Angst war, dass mir niemand glauben würde. Ich konnte weder ein blaues Auge noch einen ausgekugelten Arm vorweisen – wie sollte ich reagieren, wenn sie lachten und mich nach Hause schickten? Der einzige Gedanke, der mich tröstete, war, dass es außer mir keiner mitbekommen würde. Also ging ich hinein, stellte mich an den Tresen und sprach die Worte aus: „Ich werde von meinem Mann bedroht.“

Der zuständige Kommissar verständigte sofort die Frauenbeauftragte und führte mich in einen gesonderten Raum. Wir redeten nicht viel, doch dieser Mann sagte: „So geht man nicht mit seiner Partnerin um.“ Das fand ich sehr tröstlich, weil ich mich ernstgenommen fühlte – was mich ehrlich gesagt überraschte. Die Anzeige wurde dann aufgenommen. Im Anschluss musste ich noch einen Lageplan unserer Wohnung anfertigen, danach wurde ich in einen Schutzraum geführt, in dem ich drei Stunden warten musste. Währenddessen fuhren drei Beamte zu mir nach Hause, um meinem Mann einen Besuch abzustatten.

Aus dem Polizeibericht weiß ich, dass er aus dem Fenster schaute, als sie klingelten und dass er davon ausging, dass uns etwas passiert sei. Dementsprechend überrascht dürfte er gewesen sein, als er seiner Rechte belehrt wurde und die Schlüssel zur Wohnung und zum Auto abgeben musste. Danach musste er die Wohnung verlassen. Die Schlüssel wurden mir anschließend auf der Wache übergeben und ich durfte nach Hause fahren.

Mit welchem Gefühl bist du an jenem Abend in deine Wohnung zurückgekehrt?

Ich bin mit einem absoluten Hochgefühl nach Hause gefahren und habe mir das Schlafzimmer zurückerobert. Noch am selben Abend habe ich den kompletten Kleiderschrank leergeräumt und gründlich ausgeputzt. Dann habe ich die Sachen meines Mannes zwischengelagert und statt seiner meine eigenen sowie die Kleidung meines Sohnes hineingeräumt. Gegen 2.00 Uhr nachts war ich fertig und habe mich zum ersten Mal seit langer Zeit ins Bett gelegt.

Wie hat dein Umfeld auf die Neuigkeiten reagiert?

Als erstes habe ich meine langjährige Freundin Jule angerufen. Sie hat über die Jahre einiges mitgekommen und war sehr erleichtert, als ich ihr von der Trennung erzählte. Ich zolle ihr großen Respekt, denn obwohl sie sich meine Geschichten immer wieder anhören musste, hat sie den Fehler nie bei mir gesucht. Sie hat nie gesagt: „Warum gehst du nicht einfach?“ Das rechne ich ihr hoch an. Auch meine Mutter war sehr erleichtert, als sie erfuhr, dass ich es durchgezogen habe.

Andere waren entsetzt, als sie davon erfuhren, aber unterm Strich erfahre ich viel Unterstützung in meinem Bekanntenkreis. Viele geben nun zu, dass sie meinen Mann schon immer komisch fanden, dieses Gefühl jedoch nur schwer begründen konnten. Auch unser Sohn hat es gut aufgenommen, dass sein Papa nicht mehr nach Hause kommt. Er ist viel ruhiger geworden und schläft inzwischen durch, was früher nie der Fall war. Dennoch trage ich seitdem eine unheimliche Wut in mir. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich mit der Männerwelt abrechnen, wenn mir einer blöd kommt. Doch ich bin auch wütend auf mich selbst, weil ich so feige war und nicht früher angefangen habe zu kämpfen

Wie hat dein Mann die Trennung aufgenommen? Hat er in den ersten Tagen versucht, Kontakt zu dir aufzunehmen?

Die Polizei hat Thomas nicht nur der Wohnung verwiesen, sondern ihm auch ein zehntägiges Rückkehrverbot erteilt. In dieser Zeit habe ich beim Amtsgericht einen Antrag auf Wohnungszuweisung gestellt. Die ersten drei Wochen hat er in dem Gartenhäuschen gewohnt, das komplett eingerichtet war und auch über eine Heizung und Dusche verfügte.

Danach hat er sich eine kleine Wohnung gesucht. Kontaktiert hat er mich in dieser Zeit nie. Stattdessen ist er direkt am nächsten Tag zur Bank gegangen und hat unser gemeinsames Konto leergeräumt. Als ich mitbekam, dass er ohne meine Zustimmung 72.000 Euro abgehoben hatte, dachte ich, mich trifft der Schlag. Ich ärgerte mich schwarz, dass ich das Konto nicht n. Doch letztere sagte, ich solle mir keine Sorgen machen und das den Anwälten überlassen. Inzwischen habe ich eine sehr gute Rechtsanwältin, die mir hilft, meinen Mann zur Strecke zu bringen. Mir geht es dabei nicht ums Geld.

Ich will ihm vor allem Respekt gegenüber meiner Person beibringen. Gerechtigkeit kann es für mich jedoch nicht mehr geben, denn in Anbetracht der vergangenen 22 Jahre habe ich bereits lebenslänglich bekommen.

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Welche Erfahrungen hast du mit Hilfsangeboten für Opfer häuslicher Gewalt gemacht?

Sowohl die Polizei als auch die Rechtanwältin haben mir Visitenkarten von verschiedenen Hilfsorganisationen gegeben. Mich hat jedoch niemand darauf hingewiesen, dass es eine Reihenfolge gibt, die es bei der Inanspruchnahme einer Rechtsberatung einzuhalten gilt. Als das Konto am Tag nach der Trennung leergeräumt wurde, bin ich in Panik geraten und habe mir eine Anwältin genommen. Was ich nicht wusste: Mein Anspruch auf die Unterstützung einer Hilfsorganisation ist damit weggefallen. Daher ist es wichtig, diese Beratungsangebote wahrzunehmen, nachdem man bei der Polizei war und bevor man rechtlichen Beistand einholt.

Was möchtest du Opfern häuslicher Gewalt mit auf den Weg geben, die sich bisher noch nicht aus ihrer Situation befreien konnten?

Ich wünschte allen Betroffenen, dass Sie ihren Aggressor nie kennengelernt hätten und ich rate ihnen dazu, sich einer nahestehenden Person anzuvertrauen. Das Verständnis, das mir entgegengebracht wurde, ist größer als ich es mir je ausgemalt hätte. Ich weiß nicht, warum ich gegenüber meiner Mutter und anderen Vertrauenspersonen so lange geschwiegen habe, doch ich wünschte, ich hätte früher über meine Notlage gesprochen.

Zudem empfehle ich Opfern häuslicher Gewalt – egal, ob physischer oder psychischer Art – sich auf „Tag X“ vorzubereiten. Kopiert eure wichtigsten Dokumente wie Personalausweis, Familienbuch und Versicherungsnachweise und lagert sie außerhalb der Wohnung. Lasst eure Verletzungen, aber auch die Spuren seelischer Misshandlungen, wie Schlafstörungen, regelmäßig vom Hausarzt dokumentieren. Packt einen Notfallkoffer und überlegt euch vorab, wo ihr mit euren Kindern vorübergehend unterkommen könnt. Und wenn es so weit ist, denkt an eure Dokumente und nehmt, wenn möglich, auch Handy, Auto und Geld mit.

Außerdem möchte ich Betroffenen dringend dazu raten, zur Polizei zu gehen und die Trennung damit zu dokumentieren. In meinem Fall wird mir das Datum der Anzeige helfen, mein Geld zurückzubekommen. Denn Thomas behauptet zwar weiterhin, es gäbe keinen Diebstahl in der Ehe – die Anzeige beweist jedoch, dass wir zum Zeitpunkt der Abhebung bereits getrennt waren. Aus heutiger Sicht empfehle ich außerdem, einen Strafantrag zu stellen. Denn während eine Strafanzeige den Sachverhalt lediglich meldet, verlangt man durch einen Strafantrag die strafrechtliche Verfolgung des Geschehenen und der Täter kann zur Rechenschaft gezogen werden.

Du bist nicht alleine!

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Anlaufstellen und Schutzmaßnahmen

Wenn du selbst von häuslicher Gewalt betroffen bist oder eine dir nahestehende Person Hilfe benötigt, ist es wichtig, dass du dir einen ersten Überblick über deine Notlage und deine Handlungsoptionen verschaffst.

Auf der Website der Polizei erfährst du, welche Formen häusliche Gewalt annehmen kann und wie du dich und andere Betroffene schützen kannst. Neben Beratungsstellen und Notfallnummern findest du dort auch eine Übersicht polizeilicher und zivilrechtlicher Schutzmaßnahmen, die dir helfen können, dich und deine Kinder in Sicherheit zu bringen.

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