Bedtime Procrastination
So müde, aber schlafen wollen wir nicht
Wir gehen oft später ins Bett, als es uns guttut, um endlich Zeit für sich zu haben und nichts mehr „müssen“ zu müssen. Dieser Wunsch, nach einem stressigen Tag etwas Zeit für sich zu gewinnen, führt dazu, dass wir das Zu-Bett-Gehen hinauszögern und unsere dringend benötigte Schlafenszeit verkürzen.
Der zu kurze Tag
Du möchtest abends nicht früh ins Bett gehen, obwohl du hundemüde bist? Am Abend wird immer wieder deutlich, wie kurz der Tag eigentlich ist und wie viel noch zu erledigen bleibt: Die Wäsche muss noch zusammengelegt, die Post geöffnet und die Einkaufsliste für morgen geschrieben werden. Dazu kommen die Dinge, die jetzt guttun würden, wie Yoga, ein heißes Bad, das verschobene Telefonat mit der besten Freundin oder das vor Tagen angefangene Buch weiterlesen. Um noch Zeit für sich zu gewinnen, schieben viele von uns das Zubettgehen hinaus. Experten nennen dieses Phänomen Bedtime Procrastination, das absichtliche Verzögern der Schlafenszeit.
Der Teufelskreis von Schlafmangel
Wenn die dringend benötigte Schlafenszeit immer wieder verkürzt wird, hat das Folgen: Die emotionale und körperliche Belastbarkeit sinkt, denn Immunsystem, Herz-Kreislauf-System und Stoffwechsel brauchen ausreichende Erholung, um gut arbeiten zu können. Wer müde ist, kann am nächsten Tag seine Gefühle schlechter regulieren, sodass Stressfaktoren belastender wirken. Zu wenig Schlaf vermindert die Belastbarkeit, führt zu einem schlechten Gewissen und erhöht die Reizbarkeit. Die Selbststeuerung ist geschwächt, und somit geht es am Abend wieder später ins Bett als eigentlich gut wäre. Solch eine permanente Schlafaufschieberitis kann zu einem Teufelskreis führen, denn wer übermüdet ist, schafft es weniger gut, vor dem Einschlafen etwas Entspanntes für sich zu tun, sondern bleibt widerstandslos an den sozialen Medien hängen. Stress wirkt sich nachteilig auf die Selbstkontrolle aus", so Bernecker, „was das Gesundheitsverhalten beeinträchtigt. Beispielsweise essen Menschen unter Stress ungesünder, treiben weniger Sport und gehen später zu Bett.
Kleine Auszeiten im Alltag
Es geht darum, die Tage nicht vollends durchzutakten, kleine Auszeiten zu haben und diese für sich zu nutzen. Kleine Ruhepausen finden sich im Alltag: Auf dem Weg zur Arbeit kann man in der Bahn ein paar Seiten im Buch lesen oder im Auto die App zum Sprachenlernen einschalten. Im Supermarkt an der Kasse sollte man versuchen, nicht nervös zu prüfen, an welcher Schlange es schneller vorangeht, sondern einfach stehen, nichts tun, den Blick schweifen lassen und entspannen. Auch die Zeit mit den Kindern bewusst verbringen, ohne dabei aufs Handy zu schauen oder in Gedanken den kommenden Arbeitstag zu planen. Wer sich tagsüber Pausen gönnt und diese bewusst genießt, fühlt sich mehr selbstbestimmt.
Selbstfürsorge für mehr Wohlbefinden
Es ist entscheidend, die eigene Selbstfürsorge ernst zu nehmen und regelmäßig in den Alltag zu integrieren, um langfristig ausgeglichener und belastbarer zu sein. Ein bewusster Umgang mit der abendlichen Freizeit und das Erlernen von Selbstmitgefühl können dabei helfen, den Teufelskreis der Bedtime Procrastination zu durchbrechen. Indem wir uns täglich kleine Auszeiten gönnen, stärken wir unser Wohlbefinden. Und ein bisschen mehr Schlaf und ein bisschen weniger Handy-Daddeln könnten dabei förderlich sein. Denn: Eigenzeit am Abend ist eben genauso wichtig, wie die Pflichterfüllung tagsüber.
Paradoxerweise verlängert sich der Abend, je größer der Stress ist.
Interview mit Katharina Bernecker vom Psychologischen Institut der Uni Zürich
Welches sind die Gründe, warum Erwachsene oft später ins Bett gehen als es ihnen gut tut?
"Die Gründe für dieses Aufschieben sind vielfältig. Einerseits handelt es sich um mangelnde Selbstkontrolle, andererseits steht dahinter das Bedürfnis nach bewusster Erholung vom Tag. Obwohl Schlaf die optimale Erholung wäre, findet diese nicht statt. Der negative Effekt zeigt sich erst am nächsten Tag. Paradoxerweise verlängert sich der Abend, je größer der Stress ist."
Warum ist das so?
"Ich habe in meinen Forschungen festgestellt, dass Stress das Aufschieben des Schlafengehens verstärkt: An diesen Tagen wächst das Bedürfnis, noch mehr bewusste Zeit zur Erholung zu brauchen. So wird das Zubettgehen mit Handy-Daddeln, Zappen oder Serienschauen hinausgezögert."
Gibt es noch weitere Ursache des Bedtime Procrastination?
"Das stetige Aufschieben kann auch in der Abendroutine selbst liegen. Forscher aus den Niederlanden haben herausgefunden, dass diejenigen, die ihre Abendroutine nicht mögen – mit dem Hund rausgehen, Kontaktlinsen entfernen, Zahnseide nutzen, Tür abschließen – dazu neigen, diese Erledigungen hinauszuzögern. Deshalb wäre es ratsam, sich die abendlichen Abläufe einmal genauer anzuschauen."
Spielt in den Familien auch das Alter der Kinder eine Rolle, wann die Eltern ins Bett kommen?
"Natürlich. Die kleinen Kinder bekommt man meistens schwer zur Ruhe, die größeren sind nicht unbedingt ruhiger, jedoch zumeist außer Sichtweite. Wichtig ist vor allem aber auch die Frage, wie gut Eltern Familien- und Hausarbeit aufteilen und ob sie sich tagsüber auch etwas Gutes gönnen. Es lohnt diesbezüglich eine Selbstbefragung: Backe ich heute den Kuchen, weil ich Freude daran habe, oder weil ich denke, dass ich es machen müsste? Ist es nötig, das Bad heute zu putzen oder reicht es auch ein anderes Mal? Oder gibt es eine andere Musikschule für den Gitarrenunterricht des Kindes, die näher am Wohnort liegt, um nicht eine halbe Stunde mit dem Auto fahren zu müssen?"
Tipps
Wenn-Dann-Regel eines New Yorker Forschungsteam
- Vorhaben: Ich möchte pünktlich ins Bett gehen
- Visualisierung: Bestmögliches Ergebnis ausmalen, wie ausgeruht man sich am nächsten Morgen fühlt.
- Innere Hürde aufspüren: Zum Beispiel innere Glaubenssätze überprüfen wie: erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
- Regel: Konsequent zum Beispiel um 23 Uhr damit aufzuhören, was man gerade tut und sich bettfertig machen. Dafür den Wecker zu stellen, nicht für den Morgen, sondern um an den Zeitpunkt der inneren Abmachung erinnert zu werden. Und dann ab ins Bett.
Auch das:
- Handy und Smartphone rechtzeitig am Abend ausmachen und nicht mit ins Schlafzimmer nehmen.
- Alternativen suchen: Lieber lesen am Abend, das macht eher müde.
- Den Film für den Abend vorher aussuchen, da verschwendet man keine spätere Suchzeit.
Damit du zeitiger zu Bett gehen kannst:
- Schaffe dir am Tag mehr Ruhepausen.
- Etabliere neue Gewohnheiten, die müssen mindestens drei Wochen eingeübt werden, damit sie zur Gewohnheit werden.
- Schreibe vor dem Schlafengehen belastende Gedanken auf, damit sie für die Nacht aus dem Kopf sind.
- Achte bewusst auf Müdigkeitsanzeichen, denn der Körper sendet Signale, die nicht übergangen werden sollten.
- Mache dir die Vorteile einer ausreichenden Schlafenszeit klar, zum Beispiel dass du leistungsfähig, erholt, entspannt in den neuen Tag zu starten, ohne tiefe Augenringe.
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