Architekturpsychologie
Warum setzen wir uns immer auf denselben Platz?
Es ist uns nicht immer bewusst, doch die Räume, in denen wir leben, arbeiten und uns aufhalten, beeinflussen nicht nur unser Wohlbefinden, sondern auch unsere Gesundheit. Design, Bauweise, Raumaufteilung, Materialwahl – all das wirkt auf unseren Alltag und kann uns im Positiven wie im Negativen verändern.
Psychologie der Räume
Heinrich Zille hat einmal gesagt: „Man kann einen Menschen mit der Wohnung genauso erschlagen wie mit der Axt.“ Die Arbeit der Architekturpsychologin Anja Vollmer zielt genau in die Gegenrichtung: Sie befasst sich mit der Psychologie von Räumen sowie mit heilender, Stress reduzierender Architektur. Räume, Häuser, Städte wirken stärker auf uns, als wir oftmals annehmen, und sie haben viel damit zu tun, wie wohl wir uns fühlen. Manchmal können sie uns deprimieren, im besten Fall zu einem behaglichen Befinden beitragen. Einerseits sollten Orte ausreichend Rückzugsmöglichkeiten, Ruhe und Privatheit bieten. Andererseits sind Weitsicht und Offenheit wichtig, damit man den Blick schweifen lassen und sich nicht eingeschlossen fühlen kann. Deshalb spielen Fenster eine große Rolle. Die Art, wie Häuser gebaut sind und wie Räume aussehen, in denen wir uns aufhalten, hat Einfluss auf unsere Gesundheit, denn sie bieten Schutz.
"Man kann einen Menschen mit der Wohnung genauso erschlagen wie mit der Axt."
Heinrich Zille
Architektur als zweiter Körper
Besonders stark ist dieses Schutzbedürfnis in den eigenen vier Wänden. Vor allem dann, wenn wir müde oder krank sind, verändert sich die Raumwahrnehmung: Architektur wird zum zweiten Körper, den wir für unser verletzliches Inneres brauchen. Ein kranker Körper ist durchlässig bis zur Seele, heißt es. Doch auch wer gesund ist, sollte die Gestaltung seiner Wohnung ernst nehmen, besonders wenn ein Umzug ansteht. Es wäre wichtig, sich Zeit zu nehmen und genau zu überlegen: Welche Umgebung brauche ich? Welche Räume passen zu mir und zur Familie? Wie sollen sie eingerichtet werden? Dabei kann es zielführend sein, sich an früher zu erinnern, auch an die Kindheit: Wo habe ich mich wohlgefühlt? Waren es Baumhäuser, Höhlen unter Bänken und Tischen, das kleine Fachwerkhaus der Großmutter oder der luftige Campingplatz? Sich zu fragen: Was tut mir gut? Was habe ich mir früher ausgedacht, damit ich mich in meiner Umgebung richtig wohlfühle? So kristallisieren sich Kriterien heraus, die eine Planung erleichtern.
Interview mit Prof. Dr. Tanja C. Vollmer (TU Berlin)
Welche Erkenntnisse aus der Forschung der letzten Jahre im Bereich der Architekturpsychologie könnten genutzt werden, um die Gestaltung unserer Umwelt zu verbessern?
"International gesehen ist das Fachgebiet schon recht alt und interessante Forschungsergebnisse liegen vor allem aus den siebziger und achtziger Jahren vor. Beispielsweise schlafen Menschen in ihren Wohnungen besser, wenn die Schlafzimmer sich auf der Seite befinden, die von der Eingangstür des Hauses abgewandt liegt. Unabhängig von Lärm oder Himmelsrichtung wird der Schutz, den Mauern einer Wohnung bieten, unterbewusst wahrgenommen und als entspannend erlebt. Während viele Forschungen vor allem beschreibender Natur waren, ist es mir wichtig, den Zusammenhängen so auf den Grund zu gehen, dass wir sie für die Gestaltung unserer Umwelt nutzbar machen können. Hieraus ging das Feld der modernen Architekturpsychologie hervor, das ich in Deutschland vertrete."
Welche Anforderungen sollte denn unsere architektonische Umgebung erfüllen, damit wir uns darin wohlfühlen?
"Wenn ich mich durch eine Stadt bewege, geht es mir dann gut, wenn mein Bedürfnis, mich sicher orientieren zu können, befriedigt ist. Zu viele Reize, die von der Stadtarchitektur ausgehen, können dabei hinderlich sein. Gleichzeitig bedarf es eines gewissen Grads an Stimulation, um meine Aufmerksamkeit „scharf“ zu stellen und mich von der Stadt anregen zu lassen. In dieser ambivalenten Bedürfnislage nehmen wir in Bruchteilen von Sekunden unsere Umwelt wahr und bewerten sie als angenehm oder unangenehm."
Zum Beispiel?
"Häuserfassaden, die völlig glatt und einheitlich gestaltet sind, strahlen eine gewisse Kälte aus. Wenn ich an ihnen entlanglaufe, habe ich oft das Gefühl, meine Gedanken und Gefühle gleiten daran ab. Es gibt kaum etwas, das den Blick hält und worüber ich staunen könnte oder was mich überrascht. Ornamente, Vorsprünge oder verschachtelte Linienführungen dagegen ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Aus meiner Sicht müssten Häuserfassaden variantenreicher gestaltet sein. Das gilt auch für die Eingänge und Flure der aktuell entstehenden Mietshäuser. Früher gab es da Bänkchen zum Ausruhen, und wenn die Einkaufstasche zu schwer wurde oder die Nachbarin einem entgegenkam, lud sie auf der Etage zu einem Päuschen und zum Plaudern ein. Bauliche Abwechslung lädt nicht nur zum Verweilen ein, sondern wirkt entspannend. Anonyme Flure der Neubauten bieten das nicht, sie haben oft seelenlose, lange Gänge."
Die gebaute Umgebung, die Räume, in denen wir sind, sprechen also all unsere Sinne an?
"Wir nehmen das nicht nur visuell, sondern mit dem ganzen Körper wahr, sozusagen mit den Fingerspitzen, den Härchen auf der Haut, den Ohren, der Nase. Wir messen unbewusst die Schritte, die wir in einem Raum zurücklegen, und nennen es später Zeit. Wir nehmen unbewusst sogar Maß von unserem Scheitel bis zur Decke und nennen es später Proportion. Selbst wenn wir die Wand nicht berühren, nehmen wir Farbe und Oberflächenbeschaffenheit wahr und können beurteilen, ob sie Wärme oder Kälte ausstrahlen."
Immer wieder suchen wir auch nach Vertrautem, Gewohntem, setzen uns ob zu Hause oder anderswo zum Beispiel immer auf denselben Platz. Warum ist das so?
"Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, nach dem Motto: Was bislang gut gepasst hat, wird weiterhin gut passen. Wir bezeichnen dieses Phänomen als Territorialität. Da sehr viele Aspekte dabei eine Rolle spielen, wie die der Persönlichkeit und Psyche, ist die Auswahl stabil. Sie gründet sich auf positive Erfahrungen und auf die Befriedigung des ganz persönlichen Bedürfnis-Cocktails. So wird versucht, diese Befriedigung erneut zu erleben und denselben Platz wiederzuwählen. Es ist dann „mein Platz“."
Buchempfehlung
Anja Vollmer hat mit ihrer Kollegin Gemma Koppen das Buch „Architektur als zweiter Körper“ geschrieben. Darin geht es darum: Wer erkrankt, erlebt seine gebaute Umwelt als verändert. Bestimmte Empfindungen, die für gesunde Menschen im Alltag kaum eine Rolle spielen, drängen dann in den Vordergrund. Bei Krebspatientinnen wird die Umgebung beispielsweise als kälter, enger und dunkler erlebt als im Zustand vor ihrer Erkrankung.
Aber auch bei einer Depression werden Tiefen nicht mehr so gut wahrgenommen, die Umgebung wirkt flach und die Orientierung in ihr ist erschwert. Patient*innen sollten, wenn sie die Möglichkeit haben, so gut es geht, bei der Wahl der Heilstätte auch auf die Architektur beziehungsweise die räumlichen Gegebenheiten achten. Vor allem dann, wenn man längere Zeit dort verbringen wird. Das ist oft leider nicht machbar, gerade bei einer akuten Einlieferung ins Krankenhaus hat man kaum die Wahl. Da fühlen wir uns während einer Krankheit zunächst hilflos. Dennoch gibt es manchmal Möglichkeiten, ein Krankenhaus zu meiden und ein anderes vorzuziehen.
„Architektur als zweiter Körper“, Gebr. Mann Reimer Verlag, 2021.
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