Die Kunst der Selbstberuhigung

Oder, wie du dich wieder einkriegst

Unser Alltag besteht nicht selten aus Stress und Aufregungen, ob im Kleinen, wenn wir wieder viel zu wenig Zeit für uns haben. Oder im Großen, wenn uns Zukunftsängste plagen. Damit wir innerlich in der Balance bleiben, sollten wir die Fähigkeit besitzen, uns gut selbst beruhigen zu können.

Damit die Sicherung nicht durchbrennt

In jedem Leben kann es zu Krisen kommen, die uns an den Rand des Aushaltbaren bringen: eine Scheidung, Kündigung im Job, ein stressiger Umzug, eine schwere Erkrankung. Aber auch weniger einschneidende Vorfälle im Alltag können uns die Nerven rauben: Da springt das Auto nicht an, fängt der Nachbar um Mitternacht an, laut Musik aufzudrehen, hat die Urlaubsreise nicht gehalten, was der Katalog versprach. Oder man muss wieder Überstunden leisten und hat ohnehin schon zu wenig Freizeit. Die Liste ist lang und zu kurz unser Hilfskonzept, wie wir mit derartigen Situationen umgehen, ohne uns dabei völlig aufzuräufeln. Genau deshalb ist es wichtig, die Fähigkeit zu entwickeln, negative Affekte, innere Anspannung und Nervosität gezielt herunter regeln zu können.

Um Gefühlsausbrüche besser zu verstehen, ist es wichtig zu wissen: Ein Hochschnellen emotionaler Erregung hat neurobiologische Gründe. Solange die Erregung im niedrigen und mittleren Bereich liegt, gelingt es uns meist, durch erhöhte Aufmerksamkeit oder beruhigende Gedanken die Anspannung auszuhalten. Manchmal kann man sich bewusst machen, dass unangenehme Momente bald vorübergehen oder vielleicht so nicht noch einmal auftreten.

Wenn der innere Stresspegel jedoch steigt, wird es problematisch, da emotionale Areale des Gehirns die kognitiven Bereiche so lange blockieren, bis die Erregung abschwillt. In solchen Momenten greifen wir unbewusst auf Strategien zurück, die weniger Denkleistung erfordern. Das hat die Natur so eingerichtet. Erst wenn man versucht, sich selbst zu beruhigen, klappt es wieder mit dem „Klardenken“. Die Fähigkeit zur Selbstberuhigung ist uns nicht angeboren, da dieser Mechanismus aus dem Blickwinkel der Evolution nicht überlebenswichtig war und uns in entsprechenden Situationen nicht zu Verfügung steht. Außerdem spielen unsere Gene mit hinein. Ob wir häufig zornig oder ängstlich reagieren, zu Traurigkeit oder Frohsinn neigen, ist in uns angelegt: Auf 30 bis 50 Prozent schätzen Wissenschaftler den genetischen Einfluss auf unser Temperament.

Einatmen – Ausatmen: am besten durch die Nase einatmen und bis vier zählen, kurz anhalten, und dann durch den Mund langsam ausatmen und bis vier zählen.

Selbstberuhigung

Emotionen nicht unterdrücken

Wichtig ist es, aufsteigende negative Gefühle rechtzeitig wahrzunehmen, um schnell zu reagieren und somit schlechte Laune, zermürbende Gedanken, heftige Wutausbrüche zu bändigen. Das gelingt nicht sofort, denn es gibt eben keinen Schalter, den man einfach umlegen kann. Es hilft sich vor Augen zu führen, unsere unliebsamen Gefühle nicht als Gegner, sondern als Verbündete zu sehen. Denn eigentlich will die Psyche signalisieren, dass etwas auf dem Spiel steht und kurbelt die Energie an.

Dabei gibt es aus wissenschaftlicher Sicht gute Gründe, Emotionen Raum zu geben. Studien zeigen, dass Gefühle, die wir zulassen, uns auch irgendwann wieder verlassen. Heftige oder unangenehme Gefühle scheinen also ähnlich wie ein Wecker zu funktionieren: Sobald man sie wahrnimmt, haben sie ihre Funktion erfüllt – und können mit dem alarmierenden “Klingeln” aufhören.

Was kann helfen?

Experten empfehlen in akuten Situationen folgendes:

  • Bewusst auf das Atmen konzentrieren. Es verlangsamt unser Denken und entspannt. Vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden die Luft anhalten, acht Sekunden ausatmen. Wenn möglich, die Augen schließen. Das mehrmals wiederholen.
  • Aus der Situation gehen. Drei Mal in die Luft boxen. Langsam bis 10 zählen. Den Satz: „Du bist ganz ruhig!“ sagen, beziehungsweise denken. Das erleichtert, seine Impulse zu kontrollieren.
  • Den Fokus auf die Sinneseindrücke im Raum lenken: drei Dinge, die ich sehe, drei Dinge, die ich höre, drei Dinge, die ich gerade spüre.
  • Eine Körperhaltung einnehmen, die man in sicheren, guten, freudvollen Situationen hat.

Selbstberuhigung ist eine Kraft die du lernen kannst. Probiere es mal aus.

Was lindert die Aufregung?

„Wenn die akute Aufregung etwas von ihrer Wucht verloren hat“, sagt Selbstberuhigungs-Coach Michele Kundermann kann man versuchen, sich an das zu erinnern, was in letzter Zeit gut geklappt hat und an die damit angenehmen Gefühle denken. Wenn auch die Stimmung damit nicht schlagartig ins Positive umschlagen wird, lässt sich wahrnehmen, dass Niedergeschlagenheit und Selbstvertrauen, Ärger und Frohsinn nebeneinander existieren und gleichzeitig möglich sind. Das lindert die Aufregung zumindest etwas.

Was ist nun zu tun?

Manchmal besteht die Herausforderung darin, die Situation auszuhalten, ohne Vorwürfe und ohne Selbstvorwürfe. Ein Das-ist-doch-nicht-möglich oder Nicht-schon-wieder wegschieben, sich nicht ausmalen, wie etwas jetzt zu sein hätte. Denn das erzeugt zusätzlich Stress. Pünktliches Loskommen ist nun nicht gerade möglich, verdammt, aber es lässt sich gerade nicht ändern. Konsequenzen daraus sind später zu ziehen. Was ist jetzt also nun zu tun? Dadurch werden unsere Gedanken gestoppt. Völlig präsent zu sein erfordert so viel Speicherplatz im Gehirn, dass für das Stresserleben im Moment kein Platz mehr vorhanden bleibt.

 

Christian Brauner

Feuerwehrmann und Krisenmanager

„Wir von der Feuerwehr haben einen genau definierten und vielfach trainierten Denk- und Entscheidungsablauf. Erstens erfassen und priorisieren wir das Problem. Zweitens wägen wir mögliche Optionen für die Problemlösung gegeneinander ab. Drittens kommunizieren wir klar und unmissverständlich, wer was zu tun hat.”

Den Adrenalinschub im Griff

Entscheidend ist, zuerst das zu machen, was dringlich ist?

"Genau. Zwar lässt sich die Herausforderung eines Feuerwehrmannes bei einem Großeinsatz nicht mit der Situation zum Beispiel beim Anblick eines chaotischen Kinderzimmers vergleichen. Doch Strategien von Experten anzuwenden, wenn wieder mal die Luft brennt, können auch für andere hilfreich sein. Und auch das: Wenn mich eine Situation überfordert, sage ich das sofort ganz offen und hole mir Unterstützung. Auch im Nachhinein, nach absolut anstrengenden Einsätzen rede ich mit meiner Frau oder engen Freunden über das Erlebte, auch über meine Zweifel, meine Ängste, einfach, um alles mal loszuwerden.“

Was eigentlich passiert im Gehirn, wenn wir uns aufregen?

"Unser Gehirn veranlasst sofort die Ausschüttung von Stresshormonen. Diese machen uns wachsam, leistungsbereit, mitunter aber auch ängstlich und wütend. Wir sind darauf eingestellt, zu fliehen oder zu kämpfen. Und wir regen uns auf."

Kann unser Gehirn zwischen wichtigen Vorfällen und Bagatellen unterscheiden?

"Wenn etwas passiert, kommt es zu einer schnellen Stressreaktion. Dabei ist es für das Gehirn zunächst egal, ob ein Glas heruntergefallen und auf dem Boden zersplittert oder ob in der Nachbarwohnung ein Feuer ausbricht. Ist der Stress anhaltend, ist er also nicht nach dem schnellen Zusammenfegen der Scherben beseitigt, dann kommt es zu einer weiteren Reaktion: Es wird Cortisol freigesetzt. Nun heißt die Botschaft: „Hier ist gerade etwas absolut wichtig! Konzentriere Dich und arbeite mit Tunnelblick daran, den Stress zu beseitigen! Handle eher so wie immer, statt Neues auszuprobieren und lange darüber nachzudenken!“

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